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Zweierlei Verrat

Teil einer Jugendbewegung und wie sich das zehn Jahre später darstellt: Vera Vogts Dokumentarfilm „So jung kommen wir nie wieder zusammen“ über vier Expunks

Eigentlich gab es Punk ja schon früher. Die Punks, die Vera Vogt in ihrem Film heute, das heißt zehn Jahre nach ihrer eigenen Punkzeit, über ihr Leben reden lässt, waren Punks der zweiten oder dritten Generation. Anfang der Neunziger definierten sie sich vor allem als „gegen Nazis, gegen die CDU“. „Punkrock und billiges Bier haben uns durch jede Nacht gebracht“, sagt die Autorin zu Beginn des Films. Diese Nächte kreisten um die Hafenstraße, leere Schrotthäuser oder das Kulturzentrum Flora.

Vogt porträtiert aus explizit persönlicher Sicht. „So jung kommen wir nie wieder zusammen“ lief schon erfolgreich beim Berlin-Beta-Filmfest. Die Filmemacherin und die vier Porträtierten waren Wegbegleiter auf Demos und im Dosenbierrausch. Jan, Detlef, Buffo und Claus scheinen auf den ersten Blick relativ wenig gemein zu haben, bis auf ihre Vergangenheit. Aber nur Detlef fällt so richtig schön aus der Reihe. Hatte er damals noch gegen den Golfkrieg protestiert, wanderte er kurze Zeit später genau in Richtung des „Aggressors“ aus. Vogt hat ihn in den USA besucht. Nun kurvt er mit seinem weißen Mercedes zur Arbeit, hat ein dickes Haus, eine schöne Frau und fährt Jetski auf dem See. An seine damaligen Hobbys kann er sich nicht erinnern. Ein klarer Punkverräter. Da sind die drei Hamburger schon anders drauf. Jan ist heute Jan von Tocotronic, hat seine Attitüde also zum Beruf gemacht. Ihn begleitet Vogt zu einem Gespräch mit seinen Eltern in ihrer Elbvilla.

Der Vater sagt, „Jan habe ein bisschen den Bezug zur Realität verloren, wollte die Schule schmeißen“. Den Alten nervte auch die Musik aus Jans „Höhle“. Vor allem die bunt gefärbten Haare waren für den Vater ein unerträgliche Provokation. Vogt zeigt alle auch bei der Arbeit. So sehen wir Tocotronic live „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ spielen.

Detlef rollt derweil mit einem Kickboard durch die Flure seines Großraumbüros bei Yahoo. Buffo geht gar nicht arbeiten, war er auch noch nie. Er erzählt, wie er sich erfolgreich gegen Jobangebote zur Wehr setzt. Klasse ist, wie er sich mit einem Kumpel über die Strategien der Arbeitsverweigerung unterhält. Bis zu sieben Angebote bekam er eine Zeit lang vom Arbeitsamt – der totale Horror. Immerhin schreibt sich Arbeitsamt ja auch mit Kreis ums A. Manchmal verkauft Buffo Platten auf der Straße. Die Sachbearbeiterin will Buffo jetzt langsam loswerden und schlägt ihm einen Hausmeisterposten vor. Auf seiner alten Punkjacke steht Vaterlandsverräter, das möchte er auch heute noch sein. Claus hat eine bunte Wohnung und wahnsinnig viele Platten. Er hat gemerkt, dass man Geld braucht, um einigermaßen frei zu leben und Platten zu kaufen. Deshalb hat er Bierbrauer gelernt und arbeitet jetzt bei Astra. Das ist o.k. Immerhin hat man mit Bier zu tun – auch eine Form der Kontinuität.

Durch ihre alte Freundschaft kann Vogt den vieren sehr persönlich auf die Pelle rücken. Trotzdem wirkt der Film wenig anbiedernd. Vogt hat natürlich auch ihre eigene Biografie versucht in den anderen wiederzufinden. Interessant wäre bestimmt eine Art Langzeitstudie. Wäre doch spannend, ob das ätzende Arbeitsamt Buffo tatsächlich noch irgendwann zur Maloche kriegt. ANDREAS BECKER

„So jung kommen wir nie wieder zusammen“, R.: Vera Vogt, D 2000, 59 Min., in den Kinos Eiszeit und Central

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