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Jugend forscht

Der schwedische Posaunist Nils Landgren ist in diesem Jahr der künstlerische Leiter des Berliner JazzFest. Fast logisch, dass es dominiert wird von Vertretern der skandinavischen Jazzszenen

von CHRISTIAN BROECKING

Es war ein Vertrag für den Neuanfang. Als der schwedische Posaunist Nils Landgren zum neuen künstlerischen Leiter des Berliner JazzFests berufen wurde, standen Thema und Dauer bereits fest. Die Entscheidung von Joachim Sartorius, ebenfalls neu als Leiter der veranstaltenden Berliner Festspiele GmbH, kam zunächst überraschend, da Landgren keine Erfahrung als Festivalmacher mitbringt. Doch ist er seit Jahren mit einem kleinen, feinen Jazzfestival verbunden, das jeden Sommer im norddeutschen Salzau stattfindet. Landgren ist der Sprecher und inoffizielle Leiter des Jazzbaltica Ensemble, der hauseigenen Festband sozusagen.

Landgren spricht fließend Deutsch und wohnte lange in Hamburg, bis er Anfang des Jahres seinen Job bei der NDR-Bigband kündigte – wegen Überbeschäftigung. In Südschweden lebt seine Frau, die in Stockholm eine bekannte Theaterschauspielerin ist, und in Bayern hat er auch eine Wohnung. Den Posten bei der NDR BigBand gab er auf, da er mit seiner eigenen Band Funk Unit so erfolgreich ist, dass er einfach keine Zeit mehr fand, an den Proben teilzunehmen. Bis weit ins nächste Jahr ist er schon wieder ausgebucht, tourt ständig durch Europa.

Wegen Skandinavien hat Sartorius ihn auch gerufen, denn das ist der Schwerpunkt des heute beginnenden JazzFests 2001. Bunt und lebendig soll das neue JazzFest werden. Ein Event also. Und die Struktur sollte verjüngt werden, nicht zuletzt in der Hoffnung, auch jüngeres Publikum zu ziehen.

Auch Sartorius setzt hohe Erwartungen in die neue Festivalstruktur. Dass das neue Festspielhaus samt angrenzender Infrastruktur mit Quasimodo, Stilwerk und A-Trane und dem Tränenpalast als zweiter großen Spielstätte einer publikums- und medienwirksameren Präsentation von Jazz durchaus gut steht, liegt auf der Hand. Nicht dass damit gleich alles besser ist – aber Veränderungen wurden beim stark ramponierten JazzFest auf allen Ebenen schon seit Jahren eingeklagt. Die seit langem geforderte Verjüngung der JazzFest-Leitung, Landgren ist fünfundvierzig, und die Erprobung neuer Konzepte wurden zunächst mit einem aus der Not geborenen Schachzug vollzogen. Da sich Sartorius nicht gleich auf langfristige Verträge festlegen wollte, sollen die künstlerischen Leiter jährlich mit den Themen-Schwerpunkten wechseln.

Vor allem dieser Ausstieg aus dem beliebigen Allerlei des europäischen Festivalzirkus war höchst angesagt. Die Forderung, dass eines der teuersten subventionierten Jazz-Festivals unterscheidbar sein solle von den kleineren kommerziellen Festivals in der Provinz, stand schon lange ganz oben auf den Waschzetteln der JazzFestkritiker. Dass der Etat schon im vergangenen Jahr nicht zuletzt durch Umschichtung der Subventionen vom Landeskulturtopf aus dem des Bundes auf knapp 1,2 Millionen Mark angestiegen war, ist eine der Voraussetzungen für die in diesem Jahr betriebene Gigantomanie.

Landgren definiert Skandinavien als fünf Länder und war sehr verblüfft, dass sein Plan, fast die gesamte skandinavische Szene nach Berlin zu bringen, an einem kleinen, aber nicht unbedeutenden Missverständnis des Festival machenden Beginners scheiterte: Landgren war zunächst wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass ihm der Gesamtetat für die Beschaffung der Künstler zur Verfügung stünde. Doch da hatte er die Rechnung ohne die Verwaltung gemacht, die in der Regel die Hälfte eines solchen Festivalbudgets beansprucht. Von den verbleibenden 580.000 Mark fielen dann noch 50.000 einer hausinternen Kürzung zum Opfer, so dass Landgren schließlich 530.000 Mark als Künstlerbudget verblieben. Da Landgren diese im Vergleich mit anderen Festivals immer noch stattliche Summe nicht reichte, um sein Programm so wie geplant zu realisieren, tat er das für Berliner JazzFest-Verhältnisse bislang so völlig unbekannte – er beschaffte die fehlenden Gelder selbst.

Landgren ist ja schon lange als eine Art skandinavischer Jazz- und Folkbotschafter unterwegs. In jüngster Zeit vor allem in Konzerten mit dem schwedischen Pianisten Esbjörn Svensson, Jahrgang 1964, der nach langjähriger Tätigkeit in Landgrens Funk Unit gerade auch mit seinem eigenen Trio EST sehr erfolgreich ist. Wiederholt wurde er in seiner Heimat zum Jazzmusiker des Jahres gewählt, bis er kürzlich auf der europäischen Szene landen konnte. Beim JazzFest tritt Svensson am Donnerstag vor der Band des afroamerikanischen Schlagzeugers Max Roach im Festspielhaus auf. Bis auf ganz wenige Ausnahmen wie Roach oder Trompeter Roy Hargrove, der am späten Sonntagabend im Quasimodo auftreten wird, fehlen die vertrauten Big Names der amerikanischen Jazzfestivalszene auf dem Programmplakat mit dem richtungsweisenden Elch. Doch die fehlenden Gelder kamen nicht von IKEA, sondern von den skandinavischen Kulturräten und Musikinstitutionen, die Landgren von der Einmaligkeit des Ereignisses überzeugen konnte. Ein Festival mit vergleichbarer skandinavischer Dominanz und Präsenz wird es nach Landgrens Einschätzung in Jahren nicht wieder geben, in Skandinavien nicht und in Europa erst recht nicht.

Besonders die dänischen und norwegischen Jazzszenen gelten als führend, was die Anerkennung und Förderung im Land selbst angeht. Und da wurde Landgren auf der Suche nach neuen Geldgebern auch fündig, so dass die Reisekosten für zahlreiche Musiker aus den 36 offiziellen Festivalacts im Berliner JazzFest-Etat kaum noch zu Buche schlagen. Einer der für Landgren wichtigsten dänische Importe ist der Trompeter und Komponist Palle Mikkelborg, der als einer der erfolgreichsten und einflussreichsten Musiker der skandinavischen Szene gilt. Seine Platte „Aura“ hatte einst Miles Davis als Solisten. Verglichen mit Mikkelborg nennt Landgren den fehlenden norwegischen Nationalmusiker, Jan Garbarek, ein „deutsches Phänomen“. Wenn auch der Plan, Björk zum Festival nach Berlin zu holen, wie im Falle Garbareks an den eigenen Tourneeplänen der Künstlerin scheiterte, so garantiert Landgren doch vor allem einen qualitativ abgesicherten Streifzug durch den Jazz der nordischen Länder, mit Vertretern der hippen skandinavischen Ambient-Lounge Szene wie Nils Petter Molvaer, Goran Kajfes und Bugge Wesseltoft.

Am Sonntagabend endet Landgrens Verantwortung als künstlerischer Leiter. Für die Einarbeitung des nächsten Neuen, der amerikanische Musikjournalist John Corbett, der im nächsten Jahr das Thema Chicago auf die JazzFest-Bühnen bringt, ist er nicht mehr zuständig. Landgren tourt dann schon wieder. Next Stop: Skandinavien.

Das Berliner Jazzfest beginnt heute um 19 Uhr 30 mit Konzerten von Frifot (Schweden), Guitar Islancio (Island), Jukka Perko und M. A. Numminen (Finnland) im Haus der Festspiele. Bis 4. 11. werden 38 Gruppen und Solokünstler in der ehemaligen Freien Volksbühne, Stilwerk, Quasimodo, Tränenpalast und A-Trane auftreten

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