piwik no script img

Offensive Requien

■ Bremens KirchenmusikerInnen enttabuisieren den Tod und fordern kulturpolitische und finanzielle Unterstützung: „Wir sind die Basis für städtische Kulturentwicklung

„Tod und Ewigkeit, Trauer und Trost“: Auf Anhieb bietet der Blick ins Programm der neuen Konzertreihe der Bremer Innenstadtkirchen kaum was Neues. Die Requien, die da in den Kirchen St. Petri-Dom, St. Ansgarii, Unser Lieben Frauen und St. Stephani geboten werden, kennen wir von den jährlichen Konzerten. Vorne weg Brahms' „Deutsches Requiem“, das seit seiner Uraufführung im Bremer Dom (1868) Lieblingsstück so einiger Bremer Kantoren ist.

Hinter diesen bekannten Stücken (auch die Requien von Mozart und Verdi werden aufgeführt) steckt das Bemühen, das Thema „Tod“ von seinem Tabu zu befreien – sagt Bremens oberster Kirchenmusiker Ansgar Müller-Nanninga: „Musik schafft emotionalere Zugänge“. In einer begleitenden Vortragsreihe geht es unter anderem um die Frage, wie Eltern mit dem Tod eines Kindes leben können.

Das gemeinsame Programm der Innenstadt-Kirchen will nicht nur Tabus in Frage stellen, sondern auch der Stärkung der evangelischen Kirchenmusik dienen. „Die Zeit muss vorbei sein, in der wir uns gegenseitig Konkurrenz machten“, meint der Landeskirchenmusikdirektor, „wir wissen, dass wir nur gemeinsam auftreten können“.

Man wolle klarstellen, dass in den Bremer Kirchen Musik auf einem hohen Niveau gemacht werde. In der Tat trägt sie (Ausnahmen bestätigen die Regel) nicht unwesentlich zum Image der Musikstadt Bremen bei, erhält aber nicht die entsprechende Anerkennung seitens der Kulturbehörde – und schon gar kein Geld. Müller-Nanninga: „Vor diesem Hintergrund ist es skandalös, dass die Stadt kirchenmusikalische Werke außerhalb der Kirchen fördert.“

In Bremen gibt es für die KirchenmusikerInnen zehn A- und zwanzig B-Stellen (klassifiziert nach Gemeindegröße) mit einem Gesamtjahresetat von 170.000 Mark, von denen auch Kinderchöre, Abendmusiken, Noten und Instrumente, Werbung, Druckwerke und so weiter finanziert werden müssen. Eine einzige Aufführung einer großen Passion oder eines Requiems kostet schon um die 35.000 Mark.

Der Arbeitskreis der KirchenmusikerInnen will nun den Anspruch auch auf eine kulturpolitische Förderung begründen. Tim Günther, Kantor an St. Stephani: „Die Kirchenmusik ist, ganz besonders in den Hansestädten, die Basis für städtische Kulturentwicklung. Keine andere Gruppierung ist so mit der Bevölkerung vernetzt wie die Mitgieder der über 30 Kirchenchöre.“ Moritz Puschke, Organisator der Dom-Musik, erzählt: „Wir wurden neulich von der Behörde gefragt, warum wir denn nicht wieder ,Eine Nacht für Beethoven, Schubert oder Mozart' machen. Aber wie? Das war nur möglich durch die Mitschnitt-Honorare von Radio Bremen.“

Im aktuellen Programm fällt auf, dass Neustadtkantorin Sigrid Bruch und deren Oberneuländer Kollegin Katja Zerbst mit ihren Chören nach Unser Lieben Frauen ziehen: Auch das ein Versuch, die künstlerische Arbeit bewusster und nicht nur gemeindeintern zu präsentieren. Ute Schalz-Laurenze

Die Requien-Reihe beginnt heute abend um 20 Uhr in St. Stephani (Mozart) und wird Sonntag (20 Uhr) in Unser Lieben Frauen mit Brahms fortgesetzt. Weitere Informationen (auch zu den Vorträgen) unter Tel.: (0421) 3378 220.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen