Im Himmel geschlossen, auf der Erde gelebt

Radio-Zwangsehen allerorten: Nach dem Zusammenschluss von SDR und SWF steht jetzt die Fusion von SFB und ORB an. Das kleine Radio Bremen zieht der Vereinigung mit dem NDR jedoch einen etwas dezenteren Akt vor: die Umarmung in Gestalt des gemeinsamen Kultursenders „NordwestRadio“

aus Bremen HENNING BLEYL

Klaus Wowereit findet die Fusion von SFB und ORB nicht nur „gut so“, sondern treibt sie aktiv voran. Noch vor der Vereinigung der Länder sollen sich die Sender zusammengerauft haben, bekräftigte Berlins Regierender Bürgermeister schon vor seiner Wiederwahl. Dieser politische Wind entfachte beim SFB einen bis dato unbekannten Fusionswillen – von dem im fernen Bremen allerdings nur ein leises Lüftchen zu verspüren ist. Radio Bremen, die kleinste der ARD-Anstalten, gilt schon länger als zu schluckender Happen, sitzt es doch, ganz gallisches Dorf, mitten im Gebührengebiet des Rundum-Nachbarn NDR.

Jetzt aber wird auf allen Seiten abgewunken. Fusion sei für ihn kein Thema, ist von NDR-Intendant Jobst Plog zu hören. Und Heinz Glässgen, sein früherer Kulturchef und jetziger Amtskollege bei Radio Bremen, erklärt: „Ich sehe das nicht auf uns zukommen.“ Dabei steckt sein Sender in der größten Finanzkrise seit Gründung durch die Amerikaner 1950: Innerhalb der kommenden vier Jahre muss Radio Bremen seinen Haushalt um 50 Millionen Mark – etwa ein Viertel – erleichtert haben, so erzwingt es die Neuordnung des ARD-Finanzausgleichs. Glässgen weiß: „Wir sind am Rand unserer Existenzmöglichkeit.“

Der Intendant sucht das Glück seines Senders in Verkleinerung und Kooperation. Gerade hat er Bremens heiligste Kuh geschlachtet, die traditionsreiche Kulturwelle RB 2. Ein Programm, das für internationales Renommee sorgte, mit 25 Millionen im Jahr allerdings auch für höhere Kosten als alle anderen RB-Hörfunkwellen zusammen. Auf der alten Frequenz ist jetzt das „NordwestRadio“ zu hören, ein ebenfalls kulturorientiertes Programm, dessen 12-Millionen-Etat zur Hälfte vom NDR getragen wird – ein Modell, mit dem auch der Saarländische Kulturfunk SR 2 (in Kooperation mit dem Deutschlandradio) gerettet werden soll. Doch wann wird Kooperation zur schleichenden Fusion? Das fragen sich in Bremen viele der tief enttäuschten RB-2-Verehrer. Ihre Belange und Interessen sehen sie auf der neuen Welle verwässert: Sie ist Flächen- statt Bremen-Funk. Immerhin: Die Programm-Verantwortung verbleibt an der Weser und von den 70 Mitarbeitern kommen nur 4 vom NDR.

Kein schlechtes Geschäft also für die Vier-Länder-Anstalt. Die größte Gruppe ihrer Gebührenzahler sind die Niedersachsen, und deren nordwestliche Hälfte kommt in den Genuss des neuen Programms. Mit drei neuen Korrespondentenbüros sollen ländliche „Nicht-Hörer“ gewonnen werden, die Bremer NDR-Dependance ist dafür eingespart. Nutzen statt schlucken: Die Vorstellung, sich Radio Bremen als Kröte voller Pensionsansprüche und Altlasten einverleiben zu müssen, mundet in Hamburg und Hannover keineswegs. NDR-Sprecher Martin Gartzke: „Niemand will diese Fusion. Der NDR schon deswegen nicht, weil sie betriebswirtschaftlich keinen Sinn macht.“ Der Stellenplan ist bereits um 150 auf derzeit 520 reduziert, weitere 150 Einsparungen sollen folgen.

Ein weiterer Appetithemmer wird weniger offen ausgesprochen: Wie das Weihwasser scheut man eine Neuverhandlung des NDR-Staatsvertrags, was bei einem Zusammengehen mit Radio Bremen jedoch unvermeidlich wäre. Ihn im Interessensgeflecht von fünf Ländern auszutarieren gilt in Zeiten der Infragestellung von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen als risikoreich – schon deswegen hat Radio Bremen auch in der niedersächsischen Landesregierung einen zuverlässigen Anti-Fusions-Partner.

Verstärkte Zusammenarbeit soll es jedoch in der Verwaltung geben: beim Betrieb eines gemeinsamen Rechenzentrums, beim Verkauf von Werbeplätzen und beim Gebühreneinzug. Und hier lauert bereits der nächste Fallstrick für Radio Bremen. Wenn die GEZ für die Rundfunkgebühren künftig Haushalte und Betriebe statt einzelner Geräte zählt, drohen den Öffentlich-Rechtlichen nach eigenen Angaben Mindereinnahmen von bis zu einer Milliarde Mark. Für Radio Bremen würde das „schlimmstenfalls einen Verlust von weiteren 18 Millionen“ bedeuten, rechnet Glässgen. Der Intendant appelliert: „Es wäre abenteuerlich, wenn das Land Bremen dem zustimmen würde. Wir könnten es nicht verkraften.“

Vor drei Jahren noch war Plogs NordwestRadio-Vorschlag von manch bremischem Politiker als „Kapitulationsangebot“ gewertet worden. Angesichts des Kostendrucks sieht man die Sache jetzt pragmatischer. Bremens oberste Hörerin, die Rundfunkratsvorsitzende Roswitha Erlenwein, spricht gar von einem „harmonischen Konzept“: „Es ist sinnvoll, dass wir uns nicht gegenseitig die Hörer wegnehmen. Schließlich haben wir die Privaten als gemeinsame Konkurrenz.“

Wie erfolgreich diese Konkurrenz in Schach zu halten ist, wird in fünf Jahren entscheidend sein: Dann muss der befristete Kooperationsvertrag zwischen NDR und Radio Bremen neu ausgehandelt werden – im Licht der Quoten des NordwestRadios. Spätestens, wenn das ehrgeizige Ziel von 3 Prozent Marktanteil nicht erreicht wird, sind wieder alle Spielformen denkbar: zwischen harmonischer Umarmung und Zwangs-Koitus.