Der Frieden braucht noch Zeit

Seit einem Monat wird Afghanistan bombardiert. Nun will der Bundeskanzler auch 3.900 deutsche Soldaten in den Krieg schicken. Die Friedensbewegten der Stadt sind empört. Doch über weitere Proteste haben sich nur wenige Gedanken gemacht

von ULRICH SCHULTE

Die US-Forderung nach 3.900 Bundeswehrsoldaten sorgt für Aufruhr unter den Friedensbewegten der Stadt. „Damit wird Deutschland noch viel weiter in einen Krieg hineingezogen, der nichts nutzt“, sagte gestern Udo Wolf, stellvertretender Landesvorsitzender der PDS. Mehrere Gruppen, die sich gegen den Afghanistan-Krieg engagieren, äußerten sich gestern ähnlich.

Was jedoch nicht nur der PDS fehlt, sind Ideen, wie die heutige Diskussion im Kabinett als Anlass für Protest genutzt werden könnte: „Wir sondieren noch, welche Gruppen mobil machen und würden uns anschließen“, so Wolf. Für Donnerstag plane man eine „kleinere Aktion“, Genaueres sei noch nicht beschlossen worden. „Wir werden jedoch Schüler bei Aktionen in den nächsten Tagen unterstützen, etwa mit dem PDS-Lautsprecherwagen.“

Dafür müsste der Nachwuchs aber überhaupt auf die Straße gehen. Doch auch die Schüler, die – so hofften viele – frischen Wind in der Bewegung bringen sollten, wurden offenbar auf dem falschen Fuß erwischt. „Wir haben gehofft, die warten noch eine Woche“, so Dorothée Landreh von der Landesschüler-Vertretung (LSV). Ebenso wie die Sozialisten haben sie sich für den Fall der Fälle kaum Gedanken gemacht. Erst am Samstag trifft sich der LSV-Vorstand, um mögliche Proteste zu koordinieren.

Die Bewegung erwacht nur langsam aus ihrem friedlichen Schlummer. Denn während in Afghanistan längst Streubomben fallen, ließen sich die Kriegsgegner in den letzten Wochen auf Berlins Straßen nicht mehr blicken. Vergessen war die hektische Betriebsamkeit der ersten Woche nach Kriegsbeginn: 3.000 Schüler gingen auf die Straße, zur Großkundgebung auf dem Gendarmenmarkt am 13. Oktober kamen 30.000 Teilnehmer. Seither gibt es allenfalls unauffällige Minidemos.

„Gleichzeitig auf die Straße gehen und neue Aktionen organisieren ist einfach nicht drin. Dafür sind wir zu wenige“, sagt Laura von Wimmersperg, Sprecherin der Friedenskoordination. „Viele von uns sind der Meinung, dass Informationsarbeit im Moment wichtiger ist als große Straßenauftritte.“ Es fehlt an Engagierten, die Flugblätter und Unterschriftenlisten verteilen könnten: In Wimmerspergs Friedensinitiative Wilmersdorf treffen sich gerade mal sechs Leute regelmäßig, bezirkliche Inis mit einer Handvoll Mitglieder überlebten sonst nur in Charlottenburg und Zehlendorf. Seit dem Afghanistan-Krieg bekomme sie jedoch viele interessierte Anrufe, so Friedenskoordinatorin Wimmersperg weiter. „Es ist ein zäher Aufbruch, aber er ist da. Bewegungen brauchen Zeit.“

Wieder in Gang kommen könnte die Bewegung am Samstag. Um 13 Uhr plant das „Berliner Bündnis gegen Krieg und WTO“ eine Demonstration auf dem Hermannplatz.

Dort werden sie alle demonstrieren, auch Brigitte Queck vom Verein „Mütter gegen den Krieg“, die sich gestern als einzige gut vorbereitet zeigte: Um zehn Uhr hörte sie die Nachricht im Radio, um eins stand sie vor dem Reichstag – mit ihr gerade mal sieben kälteresistente KriegsgegnerInnen.

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