Rebell aus gutem Grund

Gegen die Institutionen: Als er das Drehbuch für Peter Cataneos Film „Lucky Break“ schrieb, konnte Ronan Bennett auf die eigenen Gefängniserfahrungen zurückgreifen. Ein Porträt des irischen Autors

Von Unionisten wurde Bennett kritisiert, weil er parteiisch sei

von RALF SOTSCHECK

Ronan Bennett aus Belfast kennt sich mit Ausbruchsversuchen aus dem Gefängnis aus. Er hat es oft probiert, geschafft hat er es nie. Einmal war er nahe dran. Es war 1975, die „Troubles“, wie der Nordirland-Konflikt euphemistisch genannt wird, waren auf dem Höhepunkt. Bennett, zu Beginn des Konflikts Ende der 60er-Jahre noch ein Teenager, war von einem der berüchtigten Belfaster Diplock-Gerichte ohne Geschworene wegen Polizistenmordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden und saß im Gefangenenlager Long Kesh südlich der nordirischen Hauptstadt. Ein Mitgefangener sollte drei Tage später gegen Kaution freigelassen werden. Bennett, in Verkleidung und mit gefärbten Haaren, nahm seinen Platz ein. Bis zum Gericht ging alles gut, und auch der Richter merkte nichts. Der Rechtsanwalt des Mitgefangenen, der eigentlich freigelassen werden sollte, hielt dicht, doch kurz vor der Tür in die Freiheit wurde Bennett von einem Polizisten erkannt.

Zurück in Long Kesh, steckte ihn der Gefängnisdirektor in Einzelhaft und fragte ihn, warum er abhauen wollte. „Ich wollte ihm antworten, dass ich unschuldig sei und nicht ins Gefängnis gehörte“, sagt Bennett, „aber das klang zu blöd. Außerdem flüchten schuldige Gefangene genauso gerne aus dem Knast. Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, das einem das Gefängnisleben einfach nicht gefällt.“ Ein paar Monate später wurde Bennett vom Berufungsgericht freigesprochen, weil er seine Unschuld beweisen konnte.

Danach zog er nach England, wurde dort erneut verhaftet und wegen „Verschwörung mit unbekannten Personen zur Vorbereitung eines Bombenanschlags“ verhaftet. Nach anderthalb Jahren in Untersuchungshaft in Brixton wurde die Anklage fallen gelassen. Er studierte Geschichte an der University of London, schrieb seine Doktorarbeit über „Verbrechen und Rechtsprechung im 17. Jahrhundert“ und begann Romane zu verfassen.

20 Jahre nach seinem Fluchtversuch aus Long Kesh erzählte Bennett der Filmproduzentin Elinor Day die Geschichte. Sie sprach mit dem Regisseur Peter Cattaneo, der gerade den überraschend erfolgreichen Film „The Full Monty“ gedreht hatte. Cattaneo und Bennett entwarfen das Drehbuch für „Lucky Break“, das mit Bennetts Erlebnissen allerdings wenig zu tun hat.

Der Inhalt ist schnell erzählt: Jimmy (gespielt von dem Belfaster Schauspieler James Nesbitt) ist professioneller Bankräuber, hat dafür aber kein großes Talent. Als es wieder einmal schief geht, werden er und sein Komplize Rudy zu fünf Jahren Haft verknackt. Jimmy denkt sofort an Ausbruch, zumal ihm der Oberaufseher Mr. Perry von Anfang an das Leben schwer macht und ihn für den kleinsten Fehler in den Isolationsbau steckt. Zu Hilfe kommt Jimmy bei den Fluchtplänen der weltfremde Anstaltsleiter, der ein grauenhaftes Musical über Englands Seehelden Nelson geschrieben hat. „Es war schwierig, ein solch schlechtes Musical zu finden“, sagt Bennett. „Dankenswerterweise hat Stephen Fry es geschrieben, die Musik wurde von Anne Dudley komponiert.“ Jimmy überredet seine Mitgefangenen, das Stück in der Gefängniskapelle aufzuführen, weil man von dort während der Premiere leicht türmen kann. Bei den Proben verliebt sich Jimmy jedoch in die Knastpsychologin Annabel Sweep, was die geplante Flucht in Frage stellt.

Das Skript kommt einem bekannt vor, es ist in der Filmgeschichte in ähnlicher Form immer wieder aufgetaucht, und doch ist „Lucky Break“ für Bennett mehr als ein komischer Film: „Als ich den Film zum ersten Mal sah, wurde mir klar, dass es nicht nur eine romantische Komödie, sondern eine Rebellen-Komödie ist – ein Film, in dem eine Gruppe von hoffnungslosen, streitenden und sich gegenseitig verdächtigenden Individuen den Zusammenhalt, das Vertrauen und die Fantasie findet, um eine viel mächtigere Institution herauszufordern.“

Bei der Flucht soll ein grauenhaftes Musical über Englands Lord Nelson helfen

Dieses Thema zieht sich durch Bennetts gesamtes schriftstellerisches Werk – dazu gehören fünf Bücher und zahlreiche Drehbücher, darunter für Antonia Birds Thriller „Face“ und „A Further Gesture“. „Jede einzelne schriftstellerische Arbeit, die ich gemacht habe, ist politisch“, sagt Bennett. „Ich habe noch nie vom Standpunkt eines gesicherten Menschen aus der Mittelklasse geschrieben. Natürlich ist es wichtig, seine eigene politische Überzeugung ständig in Frage zu stellen, aber es gibt bestimmte Ideale, die sich niemals ändern werden. Im bewaffneten Kampf können furchtbare Dinge geschehen, aber sie führen nicht dazu, dass du die Dinge über Bord wirfst, an die du glaubst.“

Für die vierteilige Fernsehserie „Rebel Heart“, die vor kurzem von der BBC ausgestrahlt wurde und Irlands Befreiungskampf Anfang des 20. Jahrhunderts dramatisiert, wurde er von Nordirlands Unionisten kritisiert, weil er parteiisch sei. Zwei seiner früheren Werke handeln von der Blutfehde innerhalb der Irisch-Republikanischen Sozialistischen Partei, bei der einige von Bennetts Freunden umkamen, in „Overthrown By Strangers“ geht es um Sendero Luminoso. Bennett wurde vorgeworfen, er gehe darin zu unkritisch mit der peruanischen Guerilla um. Er hat für das Buch im Gefängnis Canto Grande bei Lima recherchiert und fand sich an Long Kesh erinnert – „nur viel härter“, sagt er.

Bevor er mit dem Drehbuch für „Lucky Break“ begann, ging er erneut ins Gefängnis von Brixton, diesmal als Besucher. „Das Gefängnis sieht heute schlimmer aus als damals“, sagt Bennett. „Gemeiner, verkommener, chaotischer. Niemand, der mich kennt, würde mich als sentimental bezeichnen. Aber als ich wieder im Gefängnis stand, kam die Erinnerung zurück und ich begann zu zittern.“