: Billige Medikamente nur im Notfall
Kompromiss zum Welthandel: Bei Epidemien dürfen Entwicklungsländer die Patentrechte der globalen Pharmakonzerne brechen. Im Normalfall aber ist der Verkauf von preiswerten Nachahmer-Arzneien verboten. Heute endet Konferenz von Katar
aus Doha ANDREAS ZUMACH
Die Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Doha hat gestern ein Konsensdokument über das Spannungsverhältnis zwischen Patentschutz für Medikamente und dem Schutz der öffentlichen Gesundheit vorgelegt. Eine Entscheidung über neue Investitions- und Wettbewerbsregeln, die die Europäische Union verlangt hatte, wurde auf die nächste Ministerkonferenz im Jahre 2003 vertagt.
Weiter strittig blieben die Themen Agrarsubventionen, Textilquoten und Umweltstandards. Eine Einigung bei diesen Themen gestern Nacht wurde von einigen Delegationen nicht völlig ausgeschlossen. Als wahrscheinlicher galt jedoch eine Fortsetzung der Verhandlungen noch bis mindestens heute Vormittag.
„Wir stimmen überein, dass das Patentschutzabkommen der WTO (TRIPS) die Mitglieder nicht davon abhält und nicht davon abhalten sollte, Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit zu ergreifen.“ So lautet die Kernbestimmung des Konsenspapiers zum Thema Patentschutz/öffentliche Gesundheit. Die Entwickslungsländer hatten bis zuletzt vergeblich darauf insistiert, dass statt der Formulierung „sollte“ das rechtlich verbindlichere Wort „soll“ eingesetzt wird. Auch gilt die Bestimmung nicht generell – wie zuvor von den Ländern des Südens gefordert – sondern nur bei „Krisen der öffentlichen Gesundheitsversorgung“, „nationalen Notfälle“, oder „anderen Umständen extremer Dringlichkeit“.
Die Feststellung, wann ein „nationaler Notfall“ oder andere extrem dringliche Umstände vorliegen, bleibt zwar jedem WTO-Mitglied selbst überlassen. Zugleich werden in dem Papier als Beispiele für „Krisen der öffentlichen Gesundheitsversorgung“ aber ausdrücklich lediglich „HIV/AIDS, Tuberkulose, Malaria und andere Epidemien“ aufgeführt.
In dem Konsenspapier wird festgehalten, dass das TRIPS-Abkommen Parallelimporte von Medikamenten oder die Erteilung von Zwangslizenzen zur Eigenproduktion als legale Instrumente vorsieht, wenn benötigte Medikamente und Produktionslizenzen zu angemessenen Bedingungen nicht erhältlich sind.
Unter den Staaten des Südens verfügen bislang lediglich Indien, Brasilien, Südafrika sowie eingeschränkt Thailand über eine eigenständige, von Pharmamultis der nördlichen Industriestaaten unabhängige Arzneimittelindustrie. Wie Länder ohne eigene Pharmaproduktion innerhalb des TRIPS-Rahmens aus einer Zwangslizenz Vorteile ziehen können – das heißt, unter welchen Bedingungen ihnen der Import von Generika aus Indien, Brasilien, Südafrika oder Thailand erlaubt ist – soll die WTO bis Ende 2002 klären.
Trotz der Zugeständnisse, die die Länder des Südens machen mussten, bewerteten Oxfam und andere Nichtregierungsorganisationen die Einigung in einer ersten Stellungnahme als einen „politischen Sieg für die öffentliche Gesundheitsversorgung über die Patentinteressen der Pharmaindustrie“.
Die bis gestern vorliegende Kompromissformulierung im Streit über die Reduzierung von Agrarsubventionen wurde in erster Linie von Frankreich blockiert. In Doha wurde davon ausgegangen, dass eine Aufhebung dieser Blockade von Präsident Jaques Chirac abhängt, der sich zur Zeit in der Golfregion aufhält.
Im Bereich der Agrarsubventionen sah es gestern noch nicht nach einer Einigung aus. Die EU wehrt sich weiterhin gegen das geforderte Auslaufen der Exportsubventionen im Agrarbereich. Die weiteren Streitpunkte in Doha sind die Erhöhung von Textilquoten für Entwicklungsländer beim Export nach Norden sowie die Umwelt.
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