zwischen den rillen
: Britney Spears und ihr frühes Alterswerk

Reifezeugnis

Britney Spears hat ein neues Album aufgenommen. Es heißt schlicht „Britney“, weil es ihr bislang persönlichstes Album sein soll. Es ist eine beliebte Tradition, dass amerikanische Künstlerinnen ihre bekenntnishafteren Alben beim Vornamen nennen. Auch Whitney, Mary und Janet machten das so. Dass nun Britney Spears dieser Tradition folgt, wundert vor allem, weil man bislang gar nicht wusste, dass Britney überhaupt eine Persönlichkeit hat. Eine Persönlichkeit will nämlich entwickelt und gepflegt werden und braucht folglich Zeit.

Doch Britney hat keine Zeit, schon seit langem nicht mehr. Seit sie sich im Alter von acht Jahren als Moderatorin beim „Mickey Mouse Club“ bewarb, feilt sie von morgens bis abends an ihrer Karriere, nachts träumt sie wahrscheinlich davon. Neben ihrem Job als Sängerin ist sie nun auch Autobiografin („Heart to Heart. Die sensationelle Erfolgsstory des Megastars“), Romanautorin („Das Lied der Liebe“) und Schauspielerin (Arbeitstitel „Crossroads“). Mick Jagger, der sie neulich treffen durfte, stellte verblüfft fest, dass er mit 19 irgendwie anders war. Das glaubt man gern.

Weil Britney Spears also keine Zeit für Persönlichkeit hat, ist auf ihrem bislang persönlichsten Album auch keine Persönlichkeit zu entdecken. Positiv gewendet könnte man sagen, dass es ihre Persönlichkeit ist, keine Persönlichkeit zu haben. Woraus folgen würde, dass Britney Spears so ist, wie sie scheint, weil sie nur noch aus dem Schein besteht, den sie unablässig produziert. Dem Wortsinn nach ist Britney Spears damit ein Phänomen.

Im Zuge eines mehrstufigen Plans soll „Britney“ das Phänomen in ein Reifestadium überführen. Damit das Zielpublikum Britneys plötzlicher Wandel vom Mädchen zur Frau nicht zu sehr verschreckt, beruhigt Britney auf „Britney“ mit dem programmatischen Titel „I’m Not A Girl, Not Yet A Woman“. Britney oder „Britney“ ist also irgendwas dazwischen – phänomenal! Das wahrscheinlich persönlich gemeinte Stück stammt dabei aus der Feder von Dido, also einer Frau in ihren 30ern, die sich für diesen Auftrag in das Seelenleben einer 19-jährigen Person hineingefühlt hat, die es eigentlich gar nicht gibt. Sie musste daran scheitern, der Song ist schlecht.

Neben Dido kamen auf „Britney“ auch durchaus respektable Produzenten wie Rodney Jerkins und The Neptunes zum Zuge, denn als frühes Alterswerk eines gereiften Phänomens soll „Britney“ zum Ausdruck bringen, dass Britney nicht nur ein Phänomen ist, sondern auch Musik. Die Auswahl war dabei erwartungsgemäß nahe liegend. Denn Jerkins hat in letzter Zeit unter anderem Michael Jackson, die Spice Girls, Melanie B und ’NSYNC produziert, während die Neptunes Kelis und ’NSYNC produziert haben.

Dabei klingt Britney Spears neue Single „I’m A Slave 4 U“ eigentlich recht gut. Sie klingt so gar nicht nach Britney – das ist allerdings Teil der Entwicklung. Aufgrund zunehmender Reife ist Britney eben teilweise anders, nicht ganz, aber ein bisschen. Passend dazu zeigt sie im Video zum ersten Mal viel Haut. Früher hat sie zwar auch viel Haut gezeigt, doch sah das irgendwie anders aus, unbewusst, unschuldig und zufällig.

Ihr Ruhm gründete sich darauf, dass viele junge Mädchen und viele ältere Herren auf diesen Trick hereinfielen. Aber möglicherweise war es gar kein Trick. Und womöglich gibt es zwischen ihrer einerseits forschen Sexualität und ihrer andererseits geradezu absurden Keuschheit gar keinen Widerspruch. Vielleicht gibt es eine Welt, in der sich beides problemlos zusammendenken lässt, in einer Welt, in der Vernunft und Logik und gesunder Menschenverstand allerdings keine Rolle mehr spielen. In Britneys Welt sozusagen. Und in jener Welt wäre dann „Britney“ ein toller Soundtrack, der den Alltag allzeit versüßt. In dieser Welt ist er allerdings das schizophrene Werk einer mehrfach gespaltenen Persönlichkeit. Man muss sich aber deswegen keine Sorgen machen. Weil es diese Persönlichkeit, wie gesagt, ja eigentlich gar nicht gibt.

HARALD PETERS

Britney „Britney“ (Zomba)