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The Sound of Science

Suche nach einer Verbindung von Technikzauber, Selbsterfahrung und Entertainment: Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt eine Auswahl von Gary Hills Videoinstallationen. Im großzügigen Black-Box-Labyrinth der Ausstellungsparcours zeigt sich die dezidiert analytische Position, die der Künstler einnimmt

von HARALD FRICKE

An Videokunst hat man bei Woodstock bislang selten gedacht. Vielleicht war die Nähe zum Wallfahrtsort der alternativen US-Popkultur trotzdem wichtig für die künstlerische Laufbahn von Gary Hill. Immer noch sucht der mittlerweile 56-Jährige in seinen Installationen nach einer Verbindung aus Technikzauber, Selbsterfahrung und Entertainment; immer noch gehören bei ihm Heidegger- oder Wittgenstein-Rezeption und weißes Rauschen zusammen. Dafür spricht 30 Jahre nachdem er im Woodstock Community Center an seinen ersten Videos arbeitete auch äußerlich einiges: Hill trabt in T-Shirt, Turnschuhen und Jeans durch die schwarz getünchten Kojen der Wolfsburger Ausstellung; sein Assistent ist ein baumlanger Hippie mit Rauschebart und Pferdeschwanz, der allerdings jede Software seit der Erfindung des Heimcomputers kennt. Mit solchen Leuten wird auch Bill Gates damals in seiner Garage sein Weltweitweb-Imperium gegründet haben.

Dass die Karriere bei Hill anders verlaufen ist, liegt am zweifelnden Verstand des technisch versierten Bastlers. Für ihn hatte sich Video schon Anfang der 80er-Jahre zu einer Sackgasse entwickelt, weil das Medium in dieser Phase kaum von Fernsehästhetik zu unterscheiden war: „O.k., es ist Video, es ist elektronisch – aber es läuft auf denselben Ansatz hinaus, den Fotografen und Filmemacher bereits erreicht haben“, so lautete 1983 sein Resümee im Interview.

Einige frühe Arbeiten scheinen diese Einschätzung nachträglich zu belegen. Hills „Processual Video“ von 1980 ist eine starre Übung in Linguistik, bei der sich ein weißer Strich auf dem ansonsten dunklen Bildschirm dreht, während gewichtige Wörter wie „object of recognition“, „contextual shift“ oder „performing entropy“ gesprochen werden. Erstaunlicherweise klingt der bemühte Sound of Science angesichts heutiger Wissenschaftsdebatten sehr sanft und lyrisch weich – Theorie zum Ankuscheln, in freundlich abstrakte Bildpakete verpackt.

Von den Märchenstunden einer Laurie Anderson unterscheidet Hill dennoch das Gespür für den Verlust an Materialität hinter den weit gespannten Bilderbögen der 80er-Jahre. Insofern nimmt er auch zu Bill Violas pastoralen Geburt-und-Tod-Videos oder den Performance-Eskapaden von Bruce Nauman die notwendige analytische Gegenposition ein, die erst in der Wolfsburger Ausstellung als Langzeitprojekt erkennbar wird. Deshalb will das Museum im nächsten Monat ein Werkverzeichnis von Hill herausbringen, damit die Geschichte endlich stimmig wird.

Das eigentliche Problem liegt aber nicht in der Kunstverwandtschaft, sondern bei MTV. Wo der Musikclipsender praktisch jede Spielart frei flottierender Zeichen in sich aufnehmen konnte, bleibt das visuelle Stückwerk bei Hill tatsächlich autonom bestehen. Überhaupt sperren sich seine frühen Videos gegen lineare Erzählweisen: Bei „Sums & Differences“ aus dem Jahr 1979 wird der Betrachter durch die schnelle Überblendung von negativ gefilmten Gebrauchsgegenständen ständig aus der Bahn geworfen, während der Text sich im Kielwasser der vorbeieilenden Images ebenfalls auflöst. Damit bewegt sich Hill ein wenig schräg zum „Stop making sense“, der seinerzeit so prima tanzbar war.

Der Bruch kommt 1991. Plötzlich verlagern sich die Videoarbeiten vom Monitor in streng durchkomponierte Rauminstallationen, für die in Wolfsburg ein großzügiges Black-Box-Labyrinth gebaut wurde. Der Aufwand lohnt sich gerade wegen der minimalen Verschiebungen. Mal legt Hill mit „Dervish“ (1993–1995) die Wahrnehmung lahm, indem das Tempo der Sequenzen bis auf Einzelbilder gedrosselt wird. Dann wieder nutzt er mit „Reflex Chamber“ (1996) die Schmerzempfindlichkeit des Auges, wenn er Filmaufnahmen einer Wienreise mit Stroboskopflackern zerhackt. Der Blitz schlägt direkt im Hirn des Betrachters ein, dazu philosophiert eine Stimme im Off darüber, wie die Gedanken zerfallen, wenn die Wahrnehmung des Außen Oberhand gewinnt. Genau das geschieht mit „Reflex Chamber“: Die physische Präsenz des Lichts in der dunklen Kammer macht für Sekundenbruchteile alles Gesehene zunichte. Der Faden zwischen der Wahrnehmung und dem Wahrgenommen ist gerissen: keine Anschlüsse, nirgends. Man ist gemeinsam mit den Bildern eingeschlossen in der schwarzen Zelle.

Dennoch ist Hill mit einer Arbeit berühmt geworden, die den umgekehrten Effekt erzeugt. Sein aufwändiges „Tall Ships“ war 1992 auf der 9. documenta das master piece der Videokunst. Interaktiv kann der Besucher nun in Wolfsburg noch einmal durch den langen Schlauch wanken, an dessen Wänden 16 menschliche Gestalten aus dem Dunkel auf ihn zukommen, wenn er lange genug vor den einzelnen Projektionen stehen bleibt. Wieder wird ihm dabei nichts erzählt, wieder geht es um die kurze Begegnung zwischen Bild und Betrachter im Raum. Doch die technischen Mittel dienen hier eher der Bestätigung des artifiziell Machbaren: Das Video ist nicht Spiegel einer Auseinandersetzung mit den Apparaten, sondern bloß Spiel mit der Aufmerksamkeit. Das hatte vor neun Jahren dramaturgische Reize, aber in Zeiten von Touch-Screen-Demos und digitalen Info-Wänden wirkt das Setting wie gepixeltes Kunsthandwerk – eine Fleißarbeit, die Alltagssituationen poetisch auflädt, statt die technische Konstruktion hinter den Phänomenen zu entzerren.

Bei aller früheren Trennschärfe im Umgang mit Bildern, die bis in den harten filmischen Schnitt hineinreichte, gibt sich Hill heute mit passgenauen Inszenierungen zufrieden. Dass von diesen Arrangements zumindest atmosphärisch eine Bedrohung durch Technik ausgeht, mag am kalkulierten Maß für Räumlichkeiten liegen: Der Mensch ist stets in die Größenverhältnisse der Projektionsflächen eingebunden. Dabei wird Hills Widerstand gegenüber den üblichen medialen Erzählformen zum stilisierten Ambiente: Irgendein Gedanke ist immer, wenn genügend Bilder aufeinander treffen.

Hill weiß um diese Falle. So kann er auch in seinem „Wall Piece“ zur letzten Biennale in Venedig das Video mit den Worten beginnen: „A word is worth .001 pictures. To be transfixed is no longer an option.“ Weil sich nichts mehr vom Wort am Bild festklopfen lässt, muss er beim Sprechen des Textes unentwegt gegen eine Wand springen, während er im nächsten Augenblick wieder von ihr abgleitet. Man würde ihm die alte Starrsinnigkeit gönnen – schon damit die Kluft zwischen Wörtern und Bildern auf Dauer nicht so wehtut.

Bis 10. 3. 2002, Kunstmuseum Wolfsburg

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