: Der Tod ließ sich nicht bequatschen
von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA
Auf die Frage, wie sie sterben wolle, hatte sie im FAZ-Fragebogen geantwortet: „ohne Schmerzen – geistig klar“. Gegen die Schmerzen hat sie Mittel genommen, und ihre geistige Klarheit hat sie sich bis zuletzt bewahrt. In der Nacht zum Dienstag erlag die beliebteste ostdeutsche Politikerin, Brandenburgs ehemalige Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD), ihrem Krebsleiden.
Wirklich überraschend kam der Tod der 60-Jährigen nicht. Bereits 1996 wurde bei ihr Krebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert und eine Brust amputiert. Seither war ihre Krankheit eine öffentliche Angelegenheit, so wie Regine Hildebrandt eine Person der Öffentlichkeit war. Sie ließ alle, die es wollten, daran teilnehmen. „Meine Krankheit gehört zum Leben. Das ist wie mit meiner Migräne. Mit der musste ich auch klarkommen.“
Schonungslos offen
Die Politikerin sprach über ihre Krankheit im gleichen polternden Tonfall wie über Arbeitsbeschaffung oder Frauenförderung. In Talkshows oder Zeitungsinterviews redete sie mit schonungsloser Offenheit über die Beschaffenheit ihrer Perücke und darüber, dass sie statt einer Brustprothese einen normalen Büstenhalter trage, mit einer weiten Bluse darüber. „Die Journalisten fragen mich, und ich will eben nichts beschönigen.“
Nicht überraschend, aber plötzlich kam der Tod von Regine Hildebrandt. „Es kann nicht sein“: Dieser Satz spielte in ihrem Leben eine zentrale Rolle. Eine Frau, die trotz ihrer Krebserkrankung fünf Jahre lang mit vollem Terminkalender durch die Lande reiste, die als „Mutter Courage des Ostens“ verehrt wurde – eine solche Frau scheint irgendwie immun zu sein.
Das begann man zumindest zu glauben bei einer Politikerin, die in den Zeiten zwischen den Chemotherapien nicht müde wurde, dem Westen den Osten zu erklären und für die Schwachen in der Gesellschaft zu kämpfen. Die Dutzende Male über die Erinnerungen an die Mauer sprach und ebenso vor Krebspatienten. Die mit einem eigenen Chor, den „Hildebrandt-Singers“, probte – und zwischendurch auch noch Zeit fand, mit gepiercter Zunge für ein Expo-Plakat zu posieren oder bei Christoph Schlingensief aufzutreten.
Im März dieses Jahres bekam Hildebrandt das große Bundesverdienstkreuz – für ihre Verdienste um das Zusammenwachsen Deutschlands, für ihren „geradlinigen Politikstil“, vor allem aber als „Mutmacherin der Ostdeutschen“. Sie selbst nannte die Auszeichnung ganz lapidar „das Ding“.
Regine Hildebrandt wehrte sich dagegen, als „Krebstante der Nation“ gesehen zu werden. Trotzdem ist sie es geworden – gerade weil sie mit der Krankheit so offensiv umging. Da konnten auch so typische Hildebrandt-Sätze wie „Oma hat Krebs“ nichts ändern. Überkommen sie schwermütige Gedanken, sagte sie einmal in einem Interview, greife sie zum Bügeleisen. „Anschließend hab’ ich was geschafft, und schon geht’s mir wieder gut.“ Es ist dieser Pragmatismus, der Regine Hildebrandt gerade im Osten so beliebt machte.
Doch manchmal hat sie der Mut auch verlassen. Regine Hildebrandt hatte Angst, im Endstadium ihrer Krankheit der Apparatemedizin ausgeliefert zu sein. Im Februar forderte die überzeugte Christin in einem Interview mit dem Stern die Legalisierung aktiver Sterbehilfe – und stieß damit eine neue Debatte an. Fünf Tage vor ihrem Tod beklagte sie erneut, diesmal in einem Interview mit der Bunten, dass in Deutschland nur passive Sterbehilfe erlaubt sei. In der Schweiz gebe es Organisationen, die nach Hause kämen, ein Medikament spritzten, „und innerhalb von drei Minuten ist man tot“. Auf die Frage, ob sie sich ein solches Medikament besorgen würde, antwortete sie: „Sagen wir es so – ich bin dabei.“
Vorwurf an die CDU
Regine Hildebrandt, die berufstätige Frau und Mutter, die sich nie geschont hat, dachte lange über die Ursachen ihrer Krankheit nach. Vor einem halben Jahr machte sie in einem taz-Interview die Attacken der brandenburgischen CDU, die ihr falschen Umgang mit Haushaltsgeldern vorwarf, für die Krebserkrankung mit verantwortlich. „Ich bin nicht geschieden, meine Familie ist glücklich, es gab keine Umbrüche. Ein Baustein war zweifelsohne auch die Atmosphäre dort.“ Doch als „ungerechte, persönliche Benachteiligung“ begreife sie den Krebs nicht, sagte sie damals.
Bestes Wahlergebnis
Als die SPD vor zwei Jahren die absolute Mehrheit in Brandenburg verlor und Regine Hildebrandt sich mit dem Wunsch nach einer rot-roten Koalition nicht durchsetzen konnte, verzichtete sie auf ihr Landtagsmandat. Mit der CDU wollte sie nicht regieren. Fortan engagierte sie sich im SPD-Vorstand und im Forum Ostdeutschland. Erst in der vergangenen Woche wurde sie auf dem Nürnberger SPD-Parteitag erneut in das Spitzengremium gewählt – mit dem besten Ergebnis aller Vorstandsmitglieder.
Zusammen mit ihrem Mann, den Schwiegereltern, dem Schwager, einer Tochter und den Enkeln lebte Regine Hildebrandt in einem „Mehr-Generationen-Haus“ in Woltersdorf am südöstlichen Rand von Berlin. Ohne Fernseher, wie sie immer wieder gerne betonte. In Woltersdorf sind die Hinweisschilder noch aus DDR-Zeiten und die Straßen voller Schlaglöcher. Als bräuchte es noch einen Beweis für Hildebrandts unermüdliche Mahnung, dass die Fördergelder für den Osten nicht ausreichen.
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