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Lilienspiralen gegen Rotdornen

Engelsgeburten zelebrieren, ohne sentimental zu werden: Das Ensemble Diquis Tiquis aus Costa Rica gastiert mit „Reloj de Arena y Flor“ auf Kampnagel  ■ Von Marga Wolff

Aus einem Koffer, so groß wie ein Kleiderschrank, zaubert die Compagnie Diquis Tiquis aus Costa Rica derzeit auf Kampnagel die anrührende und surreale Poesie ihres Bewegungstheaters. Hochkant aufgerichtet und geöffnet steht der im kreisrunden Lichtschein nämlich da wie ein Kasperl-theater, aus dessem schwarzen Innern auf einmal nackte Füße seltsam heraushängen und feingliedrige Hände anmutig winken.

Diquis Tiquis, das sind der Schauspieler und Mime Alejandro Tosatti – dessen Vater mit eben diesem Koffer einst von Italien nach Costa Rica gekommen sein soll – und die Tänzerin Sandra Trejos. Mit ihrem Stück Reloj de Arena y Flor (Sanduhr und Blume) beleben die beiden die uralte Tradition des Gauklerspiels, durchzogen von Elementen des modernen Tanzes und des japanischen Butoh.

Der Clown und die Ballerina präsentieren sich hier, die den Traum vom Fliegen, wenigstens für einen Moment, wahr werden lassen. Dann hebt er sie hoch in die Luft. Sie flattert wie ein Schmetterling. An ihren Schultern hängt, wie ein gestutzter Engelsflügel, immer noch der Kleiderbügel, auf dem das weiße Gewand im Koffer hing, in das sie, heraus aus unsichtbaren Tiefen der dunklen Kiste, hineingeschlüpft war. Mitunter wird selbst der schwere, mannshohe Kasten zum Partner für akrobatisch austarierte Schwebezustände. Weiße Lilien dekorieren den Deckel wie einen Sarg. Ein Sarg, aus dem Engel geboren werden.

Fein wie der stetig rieselnde Sand in der Uhr entspinnt sich in hypnotischer Langsamkeit ein niemals abreißender Bewegungsfaden – konzentriert und sehr präzise gearbeit. Der hagere Tosatti windet sich da wie eine knochenlose Marionette in seinem Anzug, rollt seine langen Finger dämonisch ein und aus. Trejos schwebt und gleitet elfengleich. Faszinierend formt sich da der Tanz entlang einer abs-trakten und dann wieder symbolhaften Körpersprache, wie sie dem magischen Realismus des lateinamerikanischen Theaters eigen ist. Und Blumen, immer wieder Blumen, begleiten den Fortgang der Geschichte. Er schenkt ihr rote Rosen mit stechenden Dornen. Empört wirft sie den Strauß weit weg. Rot glühen daraufhin beider Hände im Scheinwerferlicht. Die weißen Lilien, eingesetzt als Verlängerung der Arme, zeichnen Kreise, Spiralen und Linien in den Raum.

Die Blumen lassen sie nicht mehr los. Doch mit ihnen wird das Spiel zunehmend beliebig, verwässert mehr und mehr die Konsequenz ihres anfangs eigenwillig bizarren Bewegungsausdrucks. Alles wird lieblich, naiv, unentschlossen, regelrecht kitschig. Die Dichte ihrer eingangs magischen Erzählweise zerfasert. Die Abs-traktion verliert sich in simpler Pantomime. Und die Zeit wird unendlich lang.

Mag sein, dass Diquis Tiquis' kleines, stilles, liebevolles Theater auch den technischen Apparat nicht sonderlich gut verkraftet, der hier die schwebend, leichte Bewegungspoesie – weit weg von den Zuschauern, auf viel zu großer Bühne – im perfekten Soundgemisch von Weltmusik ertränkt. Denn ursprünglich kommt ihre Kunst von der Straße, wo Trejos und Tosatti, die seit 1983 zusammen arbeiten und seither internationale Festivals bereisen, auch heute noch gelegentlich auftreten.

nächste Vorstellungen: heute + morgen, 20 Uhr, Kampnagel k1

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