einsatz in manhattan: Die neue Neue Galerie auf der Upper East Side
Aber bitte mit Schlagobers!
Remember, remember the 9th of November. 1918, 1923, 1938, 1989. Ausrufung der Republik, Hitlerputsch, Kristallnacht, Mauerfall. Den Damen und Herren der Neuen Galerie, Museum for German and Austrian Art, in Manhattan muss irgendwann aufgefallen sein, dass die Sache mit dem Datum auch einen Haken hat. Denn kurzerhand wurde die feierliche Eröffnung des luxuriösen Prachtbaus – auf New Yorks Museumsmeile an der Upper East Side geografisch korrekt gelegen – vom 9. auf den 16. November verschoben. Seit knapp zwei Wochen kann man jetzt auf drei Stockwerken im zumeist harmonischen Nebeneinander Deutschlands und Österreichs Beitrag zur künstlerischen Moderne bestaunen. Klimt, Schiele, Kokoschka. Brücke, Blauer Reiter, Bauhaus. Und das ist nur der Anfang. Denn zur Kunst gesellt sich die Fotografie und zum Ambiente das Design, von Eduard Wimmer-Wisgrills Schreibtisch aus dem Jahr 1908 zu den „form follows function“-Entwürfen eines Adolf Loos. Jedwedes präsentiert im eleganten Salonstil der Jahrhundertwende, inmitten geschwungener Doppeltreppen, Kandelaber und frischer Blumen. Alles, was Gold ist, das glänzt. So authentisch, dass der Besucher auf den ganz im Sinne der Neuen Sachlichkeit eingerichteten Toiletten fast schon Musils Soliman erwartet, der aufmerksam das Handtuch reicht.
Mit ihren aus allen Ecken Wiener Charme versprühenden Räumen, dem heimeligen Knarren der Dielen aus Edelholz beim feierlichen Durchschreiten der Säle, kann es die Neue Galerie durchaus mit der Frick Collection und der JP Morgan Library aufnehmen, New Yorker Museen höchster Qualität, in denen der Besucher durch die einstmaligen Privatgemächer beider Großindustriellen schweift, deren Sammlungen am Originalschauplatz zu bestaunen. Konzept wie Realisierung der Neuen Galerie indes verdanken sich der Kollaboration von Sammler Ronald S. Lauder, Chef des gleichnamigen Kosmetikimperiums, und dessen 1996 verstorbenen Händlers Serge Sabarsky. Als Sohn aus reichem jüdischem Hause in Wien geboren, gelang Sabarsky 1939 die Flucht nach New York, wo er 1968 eine führende Galerie zum Expressionismus aufbaute. Lauder entstammt gleichfalls einer österreichischen Familie und war 1986 Botschafter der Vereinigten Staaten in seinem Heimatland, als er kurz darauf im Zusammenhang mit den Spannungen um Bundespräsident Waldheim wieder nach New York zurückkehrte. Es muss also nicht verwundern, dass die jüngsten Exponate des Museum nicht über die Zeit des Anschlusses beider Länder im Jahr 1938 hinausgehen. Die ausgestellten Designeruhren mögen ticken, die Neue Galerie bleibt das nostalgisch eingerichtete Puppenhäuschen einer vergangenen Epoche. Einzig Vera Kutters im Treppenhaus gehängtes und 1999 enstandenes Negativfoto der Wiener Secession bleibt als Hinweis auf den Garaus, den die Nazis der in ihren Augen „entarteten Kunst“ machten.
Dass sich die Neue Galerie bei aller hochkarätigen Künstlervielfalt aus der Sammellust zweier Männer speist, wird hingegen in der Auswahl der Sujets erkennbar. Wie bei Schiele im Erdgeschoss, so auch bei Schad im ersten Stock ergeht sich das andere Geschlecht im Spiel mit sich selbst, wenn auf beiden Gemälden leicht bekleidete Damen die Lust an sich vorführen. So intim und privat scheint die Sammlung, dass selbst Max Beckmanns „Selbstbildnis mit Horn“ von 1938, auf einer Auktion bei Sotheby’s im Mai dieses Jahres für knapp 50 Millionen Mark als teuerstes deutsches Gemälde aller Zeiten verkauft, gänzlich unverglast im dritten Stockwerk des Museums hängen darf.
Auch fürs leibliche Wohl ist gesorgt. Das Café Sabarsky, geführt von Feinschmeckerchef Kurt Gutenbrunner, ist ganz im k. u. k. Kaffeehausstil eingerichtet. Bei Linzer Torte oder Kaffee mit Schlagobers geben die zartweißen Gardinen den Blick auf die Bäume des Central Parks frei. Beinahe schon wähnt man sich in Wien. Das Rauchen aber bleibt verboten und der Besucher letztlich doch noch in Amerika. THOMAS GIRST
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