: Es hätte Tote gegeben
Die Hafenstraße feiert am Wochenende ihren 20. Jahrestag und blickt dabei auf bewegte Zeiten zurück ■ Von Kai von Appen (Text/Foto) und Henning Scholz (Fotos)
Wohl kaum jemand hätte Mitte der achtziger Jahre die ernsthafte Prognose gewagt, dass die Häuserzeile unter Selbstverwaltung ihren 20. Jahrestag erleben würde – nicht ihre Verteidiger vor der staatlichen Repression und schon gar nicht das Gros der BewohnerInnen. Doch nun heißt es am Wochenende: „Mit Schill out im rechtsfreien Raum – Hafen lebt“ und von der Fassade prangt es: „Scholz, Schill, Schily, Scheiße.“
Dass die offizielle Jubiläumsfeier zum 20-jährigen Bestehen der Hafenstraße vier Wochen zu spät stattfindet liegt daran, dass niemand den tatsächlichen Geburtstag zu benennen vermag. „Es begann sicherlich irgendwann im Oktober oder November 1981“ , erinnert sich Hafenstraßenveteran Klaus Petersen. „Irgendwann haben wir den 1. November zum Stichtag gemacht.“ Damals waren nur einzelne Wohnungen in den zwei leer stehenden Blocks westlich und östlich der Balduintreppe an den studentischen Juso-Verein SOFOG vermietet. Die stadtstaatliche Wohnungsbaugesellschaft SAGA hatte die Zeile zwecks Abriss systematisch verrotten lassen, um Platz auf dem stadtnahen „Filetstück“ für ein Klein-Manhattan der Großinvestoren Tchibo und Gruner+Jahr zu schaffen. Nach und nach wurden weitere Wohnungen belegt und notdürftig hergerichtet. Erst, als im Februar 1982 plötzlich das Transparent „Besetzt – Ein Wohnhaus ist kein Abrißhaus“ an der Fassade hing – bemerkte die SAGA die „schleichende Besetzung“.
In Verhandlungen zwischen den BesetzerInnen und dem Hamburger SPD-Senat wird Ende 1982 die Winterfestmachung und der Erhalt einiger Gebäude zugesichert, ein Jahr später werden auf drei Jahre befristete Mietverträge mit den BesetzerInnen abgeschlossen. SPD-Bürgermeister Klaus von Doh-nanyi wird Jahre später im Untersuchungsausschuss den BesetzerInnen Respekt für ihr Verhandlungsgeschick zollen. „Die Bewohner kamen und unterschrieben den Vertrag mit ,B. Setzer' – und niemand hat es gemerkt.“
Es brechen wilde Zeiten an. Die Volxküche, die Kneipen „Ahoi“, „Onkel Otto“ sowie das „Störtebeker Zentrum“ entstehen, es gibt ein Frauenhaus und das Café „Tante Hermine“. Immer mehr Leute stoßen aus privater, aber auch aus politischer Motivation zur Hafenstraße. Indes vergeht kaum ein Wochenende ohne Polizeimeldung. Schema: Autoeinbruch, Strafverfolgung, Flucht Richtung Häuser, Widerstand, Großalarm.
Aber auch Hamburgs Verfassungsschutz-Chef Christian Lochte bemerkt schnell, dass sich in der Häuserzeile nicht nur ein Sammelsurium aus „Punks und Lumpenproletariat“ zusammengefunden hat, sondern sich auch Menschen darunter befinden, die Utopien haben und gesellschaftliche Veränderungen anstreben. Petersen erinnert: „Es gab ein gemeinsames Ziel. Einfach im Kollektiv zusammenzuleben.“
Für Hamburgs Geheimdienstchef Lochte eine Mischung, um die Keule zu schwingen. Er versuchte über die taz hamburg die These in die Welt zu setzen, – weil sich HafensträßlerInnen, ebenso wie Ärzte, Schwestern und Pfleger des benachbarten Hafenkrankenhauses, für die Zusammenlegung der politischen Gefangenen stark machten –in der Häuserzeile habe die Kommandozentrale der RAF Einzug gehalten. „Der Versuch der Entsolidarisierung ist fehlgeschlagen“, wird er später einräumen müssen, auch, dass manche Randale staatlich inszeniert war und V-Leute mitrandaliert haben: „Wenn Steine fliegen, haben unsere Leute keine Tennis-Arme.“
Die Hafenstraße teilt die Stadt in zwei Lager, als auf erste Wohnungsräumungen die BewohnerInnen mit Wiederbesetzung reagieren. Die Springer Presse, zusammen mit der CDU-Opposition und der „Betonfraktion“ der SPD will die „Chaotenhochburg“ stürmen und räumen lassen, andere Hamburger und Personen des öffentlichen Lebens (Kulturschaffende, PolitikerInnen, Promis, Hanseatische PatriotInnen) sowie liberale Kräfte um den FDP-Vize-Bürgermeister Ingo von Münch und Baumogul Robert Vogel setzen sich für eine friedliche und entstaatlichte Lösung ein. Doch der Kulturmäzen Jan Philipp Reemtsma – engagiert im Vermittlerkreis – blitzt 1987 bei von Dohnanyi ab, als er die Hafenstraße für einen symbolischen Preis von einer Mark kaufen will.
Es beginnt ein mehrmonatiger Nervenkrieg. Während des Urlaubs von Bürgermeister von Dohnanyi versuchen die Stadthalter der Betonfraktion – Bausenator Eugen Wagner und Innensenator Alfons Pawelczyk zusammen mit SPD-Fraktionschef Henning Voscherau – ein paar angebrachte Befestigungspoller dazu zu nutzen, den Sturm durchzuziehen. Die Patriotische Gesellschaft chartert einen Hubschrauber, um am Strand von Sylt von Dohnanyi über den Putsch zu informieren. Die Räumung wird verschoben aber nicht aufgehoben.
Denn der Konflikt verschärft sich nach Räumungsgerüchten erneut. Die BewohnerInnen verbarrikadieren ihre Häuser mit Natodraht und Feuerschutztüren. Tausende aus der ganzen Bundesrepublik eilen zur Verteidigung nach Hamburg. In der Nacht zum 13. November werden Barrikaden errichtet. 10.000 PolizistInnen werden tags darauf gerufen und positionieren sich mit schweren Räumgeräten und -panzern in der westlichen Innenstadt. Hubschrauber-Kommandos des Bundesgrenzschutzes werden zum Angriff über die mit Stacheldraht gesicherten Dächer geordert.
Während in der Promi-Kneipe „Zapfhahn“ Grüne, Kulturschaffende und GewerkschafterInnen Wache halten – GAL-Gallionsfrau Thea Bock stellt sich eines abends sogar einer außer Rand und Band geratenen Wasserwerferbesatzung in den Weg – ist in einer Wohnung im 1. Stock der Häuserzeile eine Koordinierungszentrale eingerichtet worden. Über eine Hotline – damals ein einfaches Telefon – besteht Kontakt zwischen dem Vermittlerkreis (Richter Joachim Katz, GALier Michael Herrmann, Pastor Christian Arndt) und dem Komitee zur Verteidigung der Hafenstraße (Reemtsma), zu SPD-Chef Jochen Vogel und Bundespräsident Richard von Weizsäcker, von Dohnanyi und anderen Polit-Prominenten. „Alle waren sich im Klaren, dass es bei einer Eskalation Tote geben würde“, sagt Pastor Christian Arndt: „Insofern herrschte in Hamburg politischer Notstand.“
Von Dohnanyi wirft seine persönliche Zukunft in die Waagschale. Er gibt sein „Ehrenwort“ und sichert den BewohnerInnen einen Pachtvertrag zu, wenn diese mit den Abbau der Befestigungen beginnen. Das Hafenstraßen-Plenum willigt ein, „das Wunder vom Hafenrand“ geschieht.
Doch es wird nur kurz halten: Denn eine eigentlich sittenwidrige Generalklausel des Vertrages erlaubt dem neuen Voscherau-Senat, nach dem Sturz von Dohnanyis als Bürgermeister, via eingesetztem Verpächter, der „Hafenrand GmbH“, einen erneuten Polizeikrieg. Die Begehungen der „Immobilie Hafenstraße“ durch GmbH-Chef Wolfgang Dirksen und die Räumung der integrierten Bauwagen sorgen immer wieder für Polizeiaufmärsche. Nach einer Prozesswut wegen angeblicher Verfehlungen der BewohnerInnen erklärt das Oberlandesgericht den Pachtvertrag 1993 auf Grundlage der Generalklausel für gekündigt. Ein Polizeieinsatzleiter hatte im Zeugenstand erklärt, dass er während der Räumung des Bauwagenplatzes aus den Häusern mit Steinen beworfen worden sei, so dass er die Steine mangels Schutzschild mit seinem Helm per Kopfstoß zurückköpfen musste. Im Gegenzug hatte die Polizei eine Anzeige von Journalisten wegen versuchter Tötung kassiert. Wasserwerfer-Kommandanten hatten versucht, während desselben Einsatzes Hafensträßler mit dem Wasserstrahl von den Dächern zu schießen.
Aber auch der Notar Voscherau muss nach dem juristischen Erfolg erkennen, dass die staatliche Eskalationsstrategie langfristig nicht vermittelbar ist. Nachdem die Randbebauung neben der Häuserzeile problemlos begonnen hat, verkauft die Stadt 1995 die Häuser an den Rechtsanwalt Hans-Joachim Waitz.
Seither wird kräftig gebaut – der Sechserblock ist saniert – und ein neuer schwieriger Prozess hat begonnen. 15 Millionen Mark beträgt das Bauvolumen trotz Eigenleis-tung der BewohnerInnen. „Es zickt niemand, mitzumachen“, sagt Petersen. Dennoch ist natürlich nach den Jahren der Existenzbedrohung eine Art Vakuum entstanden. Viele konnten einfach nicht mehr, andere haben inzwischen Familie.
„Jetzt haben wir die Häuser – die Räume, die wir erkämpft haben, müssen wir nun mit Leben erfüllen“, sagt Petersen. Das sei nun auch die Aufgabe der Jüngeren, die auch das heutige Fest organiseren.
Für St. Pauli Pastor Christian Arndt bietet der Jahrestag einen Anlass zur Rückschau. „Es sehe in St. Pauli ganz anders aus, wenn es die Hafenstraße nicht gegeben hätte“, bekräftigt Arndt. Dann wäre die Verdrängung und Verarmung noch schlimmer geworden. „Die Hafenstraße war ein Signal, dass es sich lohnt, Widerstand zu leisten“, so das Resümee des Pastors. „Und ich habe gelernt – obwohl es meiner eigenen Überzeugung widerspricht – dass Gewalt hilfreich sein kann.“
20 Jahre Hafenstraße. Fest: Heute in und vor den Häusern. Kinderbetreuung durch Kinderladen „Fischköpfe“
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