320 Seiten dicke Ohrfeige

■ Würzburger Wirtschaftswissenschaftler stellen der Bremer Politik ein mieses Zeugnis aus: Das Land sei in einer „krisenhaft schwierigen Lage“

Vor den Wahlen schreien sie „Wir bringen die Jobs“, nach den Wahlen bedauern sie, „leider nur wenig gegen die Arbeitslosigkeit tun“ zu können. Unsere Politiker, ein Volksstamm, dem Horst und Gertrud Otto-Normalwähler leider nur selten wirklich auf die Schliche kommen. Hat da nicht mal irgendwann jemand gesagt, er wolle seine Regierung „am Abbau der Arbeitslosigkeit messen lassen“?

Zum Glück gibt es die hehre Wissenschaft, die knallharte Fakten auf den Tisch legt. Uns Henning samt Gefolgschaft wurden jüngst mal wieder gnadenlos abge-watscht. Und zwar per „Länderranking“, das ein Würzburger Ökonomenteam im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstellt hat. Summa summarum eine 320 Seiten dicke Ohrfeige für die Sanierungspolitik der großen Koalition – noch schlechter kommt nur die Bremer Ampel Anfang der 90er Jahre weg.

Bremen geht es gar nicht so schlecht – könnte man beim Blick auf den Würzburger „Erfolgsindex“ der Länder vermuten: Platz 5, weit vor dem Osten, Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen. Hamburg rangiert mit seinem weit überdurchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen und der hohen Erwerbstätigkeit auf Platz 1, gefolgt von Bayern und Baden-Württemberg.

Trotz des Platzes im oberen Mittelfeld sehen die Wirtschaftswissenschaftler jedoch „eine krisenhaft schwierige Lage“ im kleinsten Bundesland. Der Punkt ist: Zwar würden hier relativ viele Menschen arbeiten, das Bruttoinlandsprodukt sei vergleichsweise hoch – aber auch nur, weil Bremen Jobs und Infrastruktur für das Umland bereitsstelle. „Die extrem hohe Zahl an Sozialhilfeempfängern, eine bedrückend hohe Massenarbeitslosigkeit und Schwierigkeiten bei der Stabilisierung des Wirtschaftswachstums“ zeigten die „akuten Probleme Bremens.“

Noch interessanter ist der „Aktivitätsindex“, der anzeigt, was die Länder aktiv in Sachen Bildung, Wirtschaftsförderung oder Infrastruktur getan haben, um Wachstum und Jobs zu schaffen. Für den Zeitraum von 1991 bis 1995 kommt die Hansestadt dabei auf einen kläglichen 16., den letzten Platz. Klartext: Die dunnemals regierende rot-gelb-grüne Ampel hat nach Ansicht der Wirtschaftswissenschaftler komplett versagt.

Für die Jahre 1996 bis 1998 sieht es kaum besser aus: Platz 12, dahinter nur noch Ost-Länder, davor die gerade gestürzte Gurken-Regierung der Hauptstadt Berlin. „Aber auch hier stellt sich die Frage, ob die Verbesserung nicht ausschließlich durch die erhöhten Zahlungen des Bundes an das Haushaltsnotlageland erzielt wurden“, sagt Stefan Drews, einer der Autoren. Ob Bremen allein als kleines Bundesland überhaupt sinnvoll und überlebensfähig ist, würde sich erst zeigen, wenn das Land keine Mittel mehr aus Berlin erhalten würde. „Wenn sich zehn Jahre danach immer noch das gleiche Bild zeigt, sollte man vielleicht darüber nachdenken, Bremen als Bundesland abzuschaffen“, erklärt er vorsichtig.

„Die Größe allein ist es nicht“, meint der Ökonom. „Hamburg ist auch klein, aber es funktioniert.“ Im Unterschied zu Bremen kooperiere das Land aber besser mit seinem Speckgürtel. Schleswig-Holstein stelle den Hamburgern problemlos Ausweichflächen für die Airbus-Produktion zur Verfügung. „Auch die Irritationen der anderen Bundesländer, als Hamburg Polizisten aus dem Rest Deutschlands abwerben wollte, waren schnell beseitigt“, sagt Drews.

12 Prozent Arbeitslosenquote, 40 Prozent Pendler, dazu ein überproportionaler Bevölkerungsrückgang – vor allem Letzteres hätte „zu einer weiteren Verdichtung der auf dem Arbeitsmarkt nur schwer vermittelbaren Arbeitskräfte geführt“, betont die Studie. Beim Thema Arbeitslosigkeit stürze Bremen in der Zeit von 1996 bis 1998 regelrecht gegenüber anderen Bundesländern ab. Bei den Sozialhilfeempfängern sei man leider ohnehin bundesweit spitze. Die Ausgaben dafür seien im vergangenen Jahrzehnt weiter angestiegen.

Die Gründe für die Job-Misere liegen auf der Hand: hohe Indus-trielastigkeit der Wirtschaft, zu wenig moderne Industrie, zu wenig moderne Dienstleister. Gegen die Strukturprobleme habe das Land viel zu wenig getan: Die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik seien drastisch gesunken, es würde viel zu wenig Geld in betriebliche Ausbildung gesteckt, die Ausgaben für Forschung und Hochschulen seien „zu niedrig, um den Weg von den alten Großbetrieben der maritimen Branche hin zu einer stärker selbständig orientierten Wirtschaftsbasis zu finden“, sagen die Wirtschaftswissenschaftler.

Anstatt viel Geld in die Sozialhilfe zu stecken, sollten die Bremer lieber „auf intelligente, berufseingliedernde Maßnahmen“ setzen – beispielsweise wie in Hamburg. Auch die „Sparanstrengungen“ des Senats werden gerügt. Das Personal im öffentlichen Dienst sei zwar reduziert worden, aber bei weitem nicht genug. „Hier muss man weitere Reformen fordern“, betont die Studie. Die große Koalition habe zwar eine „deutliche Kurskorrektur in vielen Bereichen der landespolitischen Verantwortung eingeleitet“, schließen die Forscher. „Der Weg hin zu einer modernen Dienstleistungsmetropole, die zentral-örtliche Funktionen erfüllt, mit dem Umland aber nicht aggressiv konkurriert, sondern in Kooperation die jeweiligen komparativen Standortvorteile ausnutzt, ist für Bremen noch weit.“

Kai Schöneberg