piwik no script img

Herz der Finsternis

Premiere: Rolf Teigler stellt seinen Dokumentarfilm „Outlaws“ vor  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Eigentlich habe er die Situation von Jugendlichen in einem neuen Bundesland beleuchten wollen, sagt Rolf Teigler über seinen Film Outlaws. Doch es kam anders während der vier Wochen Drehzeit in der Jugendstrafanstalt Ichtershausen bei Erfurt: „Ich habe die klaustrophobische Realität des Gefängnisses also übernommen und im Laufe der Drehzeit immer mehr gemerkt, dass auch ich nur noch an dem seltsamen Innenleben dieser Institution und seinen Bewohnern interessiert war.“

Ganz auf seine Darsteller konzentriert, eine Handvoll junger Männer zwischen 19 und 21, hat Teigler aber nicht nur den Gefängnisalltag dokumentiert und die Jungs zu den Taten befragt, die sie dorthin gebracht haben. Er hat da-rüber hinaus festgehalten, wie sie zusammen mit ihm einen Kurzfilm drehen, in dem sie diesen Alltag eigenhändig in Szene setzen. Frischfleisch heißt dieser Film der Gefangenen, und er ist gesondert bereits erfolgreich auf mehreren Festivals gelaufen.

Über den Kunstgriff Film-im-Film gelang es Teigler, weit mehr von den Jugendlichen zu erfahren als im direkten Interview möglich gewesen wäre. Was ihnen ausgesprochen peinlich ist, der erbarmungslose Kampf der Gefangenen um Hierarchie und ihr Umgang mit Sexualität, bildet nun den Kern des Kurzfilms. Dadurch, dass Outlaws die Überlegungen und Diskussi-onen zum Drehbuch und das Casting der „Tussi“ dokumentiert, die als einzig weibliche der Darstellenden von außen hinzugezogen wurde, ist das Gruppenportrait besonders eindringlich geworden.

Im Jugendknast scheint es noch um einiges brutaler zuzugehen als in einem Gefängnis für erwachsene Delinquenten. Wo diese eine Hierarchie einmal festlegen, probieren sich die Jugendlichen in permanentem Kampf um das Oben und Unten. Nicht alle fügen sich auf Dauer in ein Dasein als „Mutze“ oder „Ritze“, in die Rolle desjenigen, der von den anderen bestohlen, ausgenutzt und erniedrigt wird, etwa dadurch, dass er ständig die Zelle eines Mithäftlings zu putzen hat und auch schon mal mit einem Besenstil im Hintern zur Belustigung der anderen auf einem Stuhl stehen muss.

Der Sog solcher Abgründe, die scheinbar mit keiner außerhalb des Gefängnisses liegenden Realität zu tun haben, macht Outlaws auch zu einem beklemmenden Film. Die Faszination, die das auf Zuschauer ausübt, ist derjenigen vergleichbar, die in diesem Jahr nicht abreißen wollende Publikumsströme zu den Aufführungen des Theaterstücks Kannibalen in die JVA Fuhlsbüttel trieb: als blicke man, wenn man – aus sicherer Distanz, versteht sich – Leute ansieht, die von der Gesellschaft ausgespuckt wurden, geradewegs in die Urgründe des Menschen; so als habe man es plötzlich mit einem Wesen zu tun, zu dem man „nicht im Namen von etwas Hohem oder Tiefem“ sprechen kann, wie das Joseph Conrads Erzähler Marlow in Herz der Finsternis ausdrückt.

Mit extremen Lebenssituationen wie Krankheit, Tod eines nahen Angehörigen oder Krieg vergleicht Teigler das, was er in Ichtershausen gesehen hat, und bezweifelt zu Recht den läuternden Effekt einer solchen Institution. In seinen Notizen zu den Dreharbeiten spricht auch er von einem „Blick in die dunkle menschliche Grube“: „Sie lässt uns schaudern angesichts der Erkenntnis, wie dünn die Wand ist, die uns von unseren triebhaften Urgründen trennt.“

Doch in Wirklichkeit wird das von totalen Institutionen künstlich erst hergestellt: der Eindruck, man habe es dort mit einer Parallelwelt zu tun, in der ein auf sich selbst zurückgeworfener Mensch lebe, so wie er ohne eine Domestizierung durch die Gesellschaft aussähe. Gerade indem diese Menschen von ihrer Vorgeschichte abgetrennt werden, lassen sich die zuvor erhaltenen Trainingseinheiten für ihr Verhalten so leicht ausblenden. Es ist schade, dass Teigler von seinem ursprünglichen Anliegen, nämlich etwas über den vor dem Knast liegenden Alltag von Jugendlichen in einem neuen Bundesland zu erfahren, so weit abgekommen ist.

Premiere in Anwesenheit von Rolf Teigler: heute, 21.15 Uhr; weitere Vorstellungen: morgen, 17 Uhr + übermorgen, 19.30 Uhr, Metropolis

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen