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Risiken mit Nebenwirkungen

Gesundheitsministerin Schmidt stellt Eckpunkte ihrer Gesundheitsreform vor. Im Visier: Die Ärzte. Wer sich nicht fortbildet und vernetzt, hat keine Chance

von ULRIKE WINKELMANN

„Ich kann nicht den einen zu Aldi schicken und den anderen in die sechste Etage des KaDeWe.“ Mit lebensnahen Vergleichen aus der Einkaufswelt schmückte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) gestern ihre Vorstellung einer Gesundheitsreform nach der Wahl 2002.

Sie sprach vor einem mit Gesundheitsspezialisten aller Art gefüllten Saal, der Applaus blieb etwas mau – das Bekenntnis zum Solidarsystem in der Gesundheitsversorgung ist altmodisch geworden. Schmidt erklärte: Gesundheit darf nicht privatisiert werden. Es soll keine Aufteilung der medizinischen Versorgung in lebenserhaltende und Luxusleistungen geben. Alle sollen weiterhin vom Stand des medizinisch Erreichten profitieren. Damit, sagte sie, will sie in den Wahlkampf ziehen.

Diese Klärung war notwendig. Schmidts Stillhaltekurs seit ihrer Amtsübernahme im Januar wurde ihr nicht gedankt – weder von den Kassen, die mittlerweile im 24-Stunden-Takt weitere Beitragserhöhungen verkünden und damit der Opposition Stoff für Kritik liefern, noch von den eigenen Genossinnen und Genossen. Papiere aus dem Kanzleramt machten die Runde, in denen gefordert wurde, was bislang als FDP- und CDU-Kurs gilt: Schluss mit der Rundum-Versorgung für alle.

Dass sich die Union bislang nicht auf eine gemeinsame Gesundheitslinie einigen konnte, ist das Glück der Ministerin. Die CDU plädiert für eine Aufteilung der Kassenleistungen in eine existenzsichernde Grundversorgung und Wahlleistungen, für die der Versicherte kräftig zuzahlen müsste.

Für die CSU fordert der frühere Gesundheitsminister Horst Seehofer dagegen: Der Leistungskatalog soll erhalten bleiben, aber Einzelleistungen kann der Versicherte quasi abwählen. „Opting-out“ nennt man das im zu Anglizismen neigenden Gesundheitssprech. Für den Wahlkampf, versprach das Büro Seehofer gestern, werde man die eigenen Reihen jedoch selbstverständlich noch schließen.

Wenn Schmidt den Katalog der Leistungen erhalten will, muss sie die Axt anderswo ansetzen. Denn die Kosten des Gesundheitssystems drohen zu überschreiten, was die Versicherten mit ihren Beiträgen zu finanzieren bereit und im Stande sein werden. Die gesetzlichen Kassen werden in diesem Jahr ein Defizit von über zwei Milliarden Euro (rund vier Milliarden Mark) einfahren. Gleichzeitig haben Gutachter der Qualität der Versorgung Mängel bescheinigt: Deutschland hat die höchste Pro-Kopf-Ärzte-Dichte der Welt, aber eine relativ hohe Sterblichkeitsrate etwa bei Krebs- oder Herzinfarktpatienten.

Schmidt hat die Ärzte im Visier: Ärzten, die sich nicht an Fortbildungen beteiligen, will sie die Lizenz entziehen. Die Bezahlung der Ärzte soll „mehr fallpauschaliert“ werden, das heißt, dass sie sich mehr noch als bisher an den durchschnittlichen Behandlungskosten pro Fall orientieren sollen. Die Ärzteverbände, die Kassenärztlichen Vereinigungen, sollen das Monopol verlieren, für alle niedergelassenen Doktoren die Verträge mit den Kassen abzuschließen. Das heißt, dass die Ärzte unter Preisdruck geraten. Ihnen wird nichts anderes übrig bleiben, als sich zusammenzuschließen. Das ist auch gewollt. Vom Arzt als „Einzelkämpfer“, sagte Schmidt, müsse man Abschied nehmen: Die Zukunft gehöre „vernetzten“ Arztpraxen, in denen Ärzte sich untereinander über die Behandlung eines Patienten verständigen.

Hier kommt dann der „Patientenpass“ ins Spiel, eine Chipkarte, auf der Krankheiten und Behandlungen eines Patienten gespeichert werden sollen. Diesen Pass will Schmidt schon im kommenden Jahr als Pilotmodell einführen. Kritik von Seiten der Datenschützer hat sie mittlerweile abgefangen: Wer seine Daten einsehen kann, soll der Patient selbst entscheiden.

Um aber den Weg durchs Gesundheitssystem zu weisen, will Schmidt den Hausarzt als „Lotsen“ installieren: Er soll den Patienten weiterschleusen. Versicherte, die sich in ein Lotsenmodell einschreiben, sollen weniger Beiträge bezahlen. Vorbild für dieses Modell ist vor allem die Schweiz.

Ärztevertreter haben angesichts dessen, was da auf sie zukommt, bereits Alarm geschlagen: In der Friedrich-Ebert-Stiftung, wo Schmidt das Modell vorstellte, war es gestern der Präsident der Ärztekammer Berlin, Günther Jonitz, der vor Qualitätseinbußen in der Behandlung warnte. Die Unions-Fraktion erklärte, dass sie die Einschränkung der freien Arztwahl ablehne: „Eine Politik, die den Patienten dazu verpflichtet, zuerst den Hausarzt aufzusuchen, offenbart ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Urteilsvermögen der Bürger“, erklärten Horst Seehofer und der CDU-Gesundheitpolitiker Wolfgang Lohmann.

Die Gesundheitsministerin wird sich also wappnen müssen. Sie wäre nicht die erste, deren Pläne unter der Bezeichnung „Gesundheitsreform“ von den Lobbyisten im Gesundheitssystem zu Brei gemahlen werden.

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