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Was in einem Lager zu lernen ist

Die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen hat ein neues Museum. Es zeigt die zweite Geschichte des Lagers, in das nach dem Krieg NS-Täter gesperrt wurden – und Kinder wie der Hitlerjunge Horst Jänichen. Dass sowohl die russische Regierung wie frühere Mithäftlinge das Museum kritisieren, versteht er nicht

von PHILIPP GESSLER

Dieser Ort sperrt sich: gegen die Gewohnheit unserer Wahrnehmung, bis zu der er nicht dringt, da es so gut wie keine Bilder von ihm gibt. Gegen die Sicherheit unserer Urteile, die an seiner Widersprüchlichkeit zerschellen. Gegen die Kategorien unseres Mitleids, das an diesem Ort aufbraust und verweht wie der kalte Wind, der hier an Spätherbsttagen immer zu pfeifen scheint. Es gibt viel zu lernen an diesem sperrigen Ort.

Gestern wurde in Anwesenheit der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, auf dem Gelände des früheren KZ Sachsenhausen in Oranienburg ein Museum zum sowjetischen „Speziallager Nr. 7/Nr. 1“ eröffnet, das von 1945 bis 1950 hier stand.

Während der NS-Zeit kamen zehntausende Gefangene in Sachsenhausen um: durch Hunger, Erschöpfung und Krankheiten – auch durch gezielten Mord in einer Erschießungsanlage. Doch schon drei Monate nach dem Krieg internierte der sowjetische Geheimdienst NKWD ab 1945 im leer stehenden Lager fünf Jahre lang insgesamt 60.000 Menschen.

Verurteilte NS-Kriegsverbrecher waren darunter, aber auch ehemalige Hitlerjungen: Kinder fast noch, denen vorgeworfen wurde, als „Werwölfe“ einen Partisanenkrieg gegen die sowjetischen Besatzer geplant zu haben. Selbst Exil-Russen war hier interniert, da sie Gegner der Bolschewisten waren – oder von ihnen so begriffen wurden. Wohl etwa 12.000 Inhaftierte starben zwischen 1945 und 1950, vor allem wegen Unterernährung, wegen Krankheiten und vor Kälte.

Horst Jänichen hätte es auch fast erwischt. Der Berliner, Jahrgang 1931, war bis 1945 Zugführer im nationalsozialistischen Jungvolk – die wirklich unterste Stufe in der NS-Hierarchie. Unter „Werwolf“-Verdacht wurde er 1946 ins „Speziallager“ verschleppt, wo er bis Mitte 1948 blieb. In den Lagern der Nazis, sagt er, seien die Häftlinge durch Arbeit, Folter oder Gas ermordert worden. In seinem Lager habe man dagegen „seine Ruhe“ gehabt. Niemand sei gequält worden: „Man vegetierte“ vielmehr, erinnert sich Jänichen, „man wartete auf die Mahlzeit oder auf den Tod“.

Zeitweise mussten die Häftlinge mit einer Brotration von 300 Gramm pro Tag auskommen. Hinzu kam die Kälte im Winter, gegen die es weder Kleidung noch ausreichend Öfen, nicht einmal Stroh für die Betten gab. Der Schauspieler Heinrich George, Vater Götz Georges, starb hier – als einziges Opfer hat er ein Einzelgrab bekommen. Ein Freund Jänichens kam ebenfalls im Lager um. Er selbst war ausgemergelt bis auf die Knochen, als er 1948 entlassen wurde – so grundlos, wie er inhaftiert worden war, sagt Jänichen.

Der zurückhaltende Rentner steht im schwarzen, schlichten Museumsbau: „Der in sich schon etwas bedrückende Raum spiegelt genau die bedrückende Situation im Lage wieder“, lobt Jänichen, „sehr beeindruckend“.

Doch dieses Urteil ist nicht einhellig: Der Sprecher des russischen Außenministeriums hatte die Ausstellung bereits Ende vergangener Woche kritisiert – ohne dass russische Regierungsvertreter sie vorab gesehen hätten: Die Schau bei Berlin laufe, so erklärte Alexander Jakowenko, „letztlich auf eine Reinwäsche der Untaten von Naziverbrechen hinaus“.

Der Leiter der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Günter Morsch, widersprach mit dem Hinweis auf die „optimale“ Zusammenarbeit mit dem russischen Staatsarchiv. Auch Verfassungsrichterin Limbach betonte gestern, ein Gedenken an die Opfer des Speziallagers verharmlose nicht die Verbrechen der Nazis am selben Ort.

Am Rande der Eröffnungszeremonie machten frühere Speziallager-Häftlinge auf sich aufmerksam. Sie betonten, sie würden noch immer als „Opfer zweiter Klasse“ behandelt. So empört es sie, dass das Museum außerhalb des dreieckigen KZ-Kerns und ein wenig abseits liegt.

Jänichen kann die Kritik nicht nachvollziehen. Nun werde doch endlich dieser Teil der Nachkriegsgeschichte „aus der Vergessenheit gerissen“, hebt er hervor. Zudem habe die Vorsitzende des Opferverbandes, die nun gegen die Ausstellung spreche, im Beirat dem Museumskonzept selbst zugestimmt. Es gehe darum zu zeigen, was geschehen sei, damit „wenigstens in Deutschland nicht zum dritten Mal derartiges passieren kann“, sagt Jänichen. „Das ist die Lehre, die ich gezogen habe.“ Es gibt viel zu lernen an diesem sperrigen Ort.

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