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Liberalisieren leicht gemacht

Eine knappe Mehrheit im US-Abgeordnetenhaus gibt dem Präsidenten weitgehende Vollmachten, mit anderen Staaten die Öffnung des Handels zu vereinbaren. Parlament verzichtet auf Mitsprache. Kritik von Gewerkschaften und Verbraucherlobby

aus Washington MICHAEL STRECK

Präsident George W. Bush war gut gelaunt. Als er zum „Christmas Tree Lighting“, dem offiziellen Start weihnachtlicher Beleuchtung, die Lichter an der riesigen Tanne vor dem Weißen Haus anknipste, hatte das Abgeordnetenhaus ihm soeben ein Geschenk gemacht. Es hatte mit knapper Mehrheit von 215 zu 214 Stimmen ein Gesetz verabschiedet, dass ihm weitgehende Vollmachten beim Vereinbaren internationaler Handelsverträge einräumt. Das so genannte „Fast Track“-Gesetz muss nun dem demokratisch dominierten Senat vorgelegt werden, der es wahrscheinlich nicht in der beschlossenen Form unterschreiben wird (siehe Kasten).

Die meisten Demokraten lehnen das Gesetz ab, da es ihrer Meinung nach Umwelt- und Sozialstandards kaum berücksichtigt. Die Befürworter glauben dagegen, die Regierung halte damit ein wirksames Instrument in der Hand, um amerikanische Wirtschaftsinteressen bei zukünftigen Handelsrunden erfolgreich durchzusetzen. Das knappe Abstimmungsergebnis zeigt, wie gespalten das Parlament in der Frage der zunehmenden Handelsliberalisierung ist. Auch wenn sich traditionell unter den Republikanern mehr Anhänger eines weitgehend deregulierten Freihandels finden, müssen sie ihre Klientel in den heimischen Bundesstaaten vertreten. So sprachen sich die republikanischen Abgeordneten aus Florida gegen das Gesetz aus, da sie die eigene Landwirtschaft durch Importe gefährdet sehen. Sie fordern daher, dass der Handel mit Zitrusfrüchten und Zuckerrohr ausgeklammert wird.

In ganzseitigen Anzeigen hatten noch am vergangenen Mittwoch Gewerkschaften und Verbraucherschutz-Gruppen für den Stopp des Gesetzes plädiert. Die Gewerkschaften fürchten eine Schwächung arbeitsintensiver amerikanischer Exportindustrien. Mit dem höchsten Arbeitslosenzuwachs in 21 Jahren, allein 415.000 neuen Entlassungen im Oktober, werde die Rezession noch verschärft.

Beobachter gehen davon aus, dass das neue „Fast Track“-Gesetz möglich wurde, nachdem die Republikaner Zugeständnisse bei einem anderen umkämpften Gesetzespaket, dem so genannten „Stimulus Bill“, gemacht hatten. Dieses Gesetz sieht vor, der lahmenden Wirtschaft, die durch die Terroranschläge vom 11. September noch mehr ins Straucheln geriet, mit einer 100-Milliarden-Dollar-Spritze wieder auf die Sprünge zu helfen. Das im Oktober vom Parlament beschlossene Gesetzespaket beinhaltet vor allem massive Steuererleichterungen für große Unternehmen, die ohnehin durch Bushs vorangegangene Steuergeschenke kaum noch an den Fiskus zahlen müssen. Die Demokraten favorisieren daher eine stärkere direkte finanzielle Hilfe an Betroffene wie Arbeitslose, Geringverdiener und allein Erziehende, konnten sich aber bislang nicht mit ihren Vorschlägen durchsetzen. So liegt das Gesetz seit fünf Wochen im Senat auf Eis. Auch wenn der politische und öffentliche Druck auf das Weiße Haus und den Kongress zunimmt, eine Einigung zu erzielen – keiner will als Verlierer dastehen. Denn beide Parteien schielen bereits auf die Zwischenwahlen im kommenden Herbst.

Manche Ökonomen sind mittlerweile der Ansicht, dass ein Kompromiss wahrscheinlich keinen großen Einfluss mehr auf die Wirtschaftsentwicklung haben wird. Angesichts einer erwarteten Trendwende im kommenden Frühjahr würde ein Stimulationspaket immer weniger dringlich. Selbst ein völliges Scheitern des Gesetzes würde allenfalls Einbußen beim Wachstum von rund 0,2 Prozent ausmachen, glauben Wirtschaftsexperten.

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