: Der Rabatt kommt ihn teuer zu stehen
Sachsens Ministerpräsident Biedenkopf nimmt heute zu jüngsten Vorwürfen Stellung. Vielleicht zum letzten Mal
Es gibt politische Zitate, die Geschichte machen. Zum Beispiel: „Meine Damen und Herren, liebe Neger“. Oder: „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.“ Sachsens König machte sich unsterblich mit dem Spruch: „Machd doch eiern Dreck alleene!“ Mit selbigem schaffte er sich nämlich ab.
Bei den Stichworten Sachsen und König fällt einem heutzutage Kurt ein. Nicht dass Herr Biedenkopf besonders erfreut über diesen Spitznamen wäre. Ja doch: Er regiert einen Freistaat. Aber doch nicht monarchisch. Der kleine König will kein König sein. Biedenkopf ist wie sein Volk. Sogar einkaufen geht er selbst. Zum Beispiel bei Ikea.
Rabatt? Nein, erklärte ihm die Verkäuferin, den gibt’s hier nicht. Das wusste Biedenkopf, der seinerzeit die Abschaffung des Rabattgesetzes ausdrücklich begrüßte, natürlich besser. Doch auch die Oberkassiererin wollte mit sich nicht – wie neuerdings erlaubt – feilschen lassen. Der Unmut Biedenkopfs und seiner Frau wuchs direkt proportional zur sich bildenden Schlange an der Kasse. Ein Ruf in die Zentrale gab ihm schließlich Recht: 15 Prozent Rabatt oder 132 Mark, die sich der 71-jährige an der Mitarbeiterkasse bar auszahlen ließ.
„Ikea: Democratic design“, hieß ein Slogan im letzten Katalog. Der Dresdner Geschäftsführer erklärt: „Bei uns wird jeder gleich behandelt.“ Rabatt allerdings sei in der neuen Ikea-Zweigstelle erst einmal gewährt worden. Dass Biedenkopf gleicher ist, sei ihm jetzt peinlich.
Nach Putzfrauen-, Schwarze Kassen-, Dienstwagen-, Traumschiff- oder Mietaffäre sollte alles anders werden. Aus dem Gästehaus der Regierung ausgezogen, gedachten die Biedenkopfs Bescheidenheit zu dokumentieren – also nicht antiker Barock, sondern proletarisches Ikea-Design, nicht per Dienstanweisung geordert, sondern per Selbstabholung. Feilschen ist doch recht und billig! Obwohl sich also der Bürger König Kurt dank Feilschfreiheit keinerlei Schuld bewusst sein musste, entschuldigte er sich am Mittwoch vor der Fraktion. Vor Jahren noch undenkbar. Nicht nur das: Dort, wo derlei zuletzt mit stürmischem Beifall quittiert wurde, herrschte diesmal eisiges Schweigen.
Tatsächlich hat sich die Stimmung an der Elbe geändert. Am vergangenen Freitag hat überraschend die christdemokratische Mehrheitsfraktion beantragt, Biedenkopf ein zweites Mal vor den Paunsdorf-Untersuchungsausschuss zu laden. Der soll klären, ob Biedenkopf Anfang der 1990er-Jahre einem Duzfreund zum Schaden Sachsens bevorteilte. Schon die erste Vorladung empfand Biedenkopf als enorme Demütigung. Sein Trost damals: Zugefügt hatte ihm diese die „ewiggestrige PDS“.
Parteichef Georg Milbradt fordete den Ministerpräsidenten in dieser Woche auf, jetzt „alles auf den Tisch zu legen“. Da liege schon alles, hatte Biedenkopf erklärt. Nachdem die Bild-Zeitung gestern entdeckt haben will, dass Biedenkopf auch bei Karstadt 15 Prozent günstiger einkaufte, schließen selbst CDU-Fraktionäre nicht mehr aus, dass Biedenkopf unmittelbar vor seinem Rücktritt steht.
Sein letztes politisches Zitat galt vor Wochenfrist Angela Merkel: „Die Rede einer großen deutschen Politikerin.“ Nicht gerade eines, das in die Geschichte eingeht. Aber Biedenkopf hat ja noch eine Chance: Heute will er im Landtag Stellung nehmen. Vielleicht zum letzten Mal.
NICK REIMER
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