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Rauchender Philister

Mit seinen derben Sprüchen und seinem kernigen Auftreten will der Verleger Bernd F. Lunkewitz nicht recht in den zeitgenössischen Kulturbetrieb passen. Seit jetzt genau zehn Jahren aber zeigt er beim Aufbau Verlag, dass man aus einem traditionellen Verlag durchaus einen erfolgreichen machen kann

von SUSANNE MESSMER

An der romantischen Auffassung vom Philister, vom typischen Spießbürger, hat sich bis heute eigentlich nicht viel geändert. Zum Beispiel Clemens Brentanos Philisterabhandlung, die er 1811 vor der Christlich-deutschen Tischgesellschaft vorgetragen hat: Sieht man mal vom Antisemitismus ab, der in dieser feinen Runde leider kräftig mitschwang, macht diese Rede noch heute viel Spaß: Für Brentano war der Philister ein Feind aller Begeisterung, der nur viereckige Sachen begreift, der die Poesie für Geschicklichkeit hält und die ganze Welt für ein Futteral. Vor allem pflege der Philister eine große Leidenschaft für den Tabak: „Sie sagen sehr gern, er halte ihnen den Leib offen“, heißt es da.

Man sieht also: Das Klischee vom Kunstbanausen, vom bequemlichen Biedermann ist alt. Und trotzdem wird es auch heute immer noch oft bemüht – nämlich meistens dann, wenn wieder einmal eine Figur auftaucht im Kulturbetrieb, die so gar nicht ins Bild passt. Der Verleger Bernd F. Lunkewitz zum Beispiel.

Seit der Immobilienhändler Lunkewitz vor genau zehn Jahren den renommiertesten Verlag der DDR, den Aufbau-Verlag, gekauft hat, ergießt sich immer wieder die bewährte Philisterschelte über ihn. Meist beginnt man, wenn man ihn beschreibt, mit seiner markantesten Macke: dem Zigarrenrauchen. Man beschreibt ihn, wie er immer die dickste hat, wie er sie in der Öffentlichkeit genüsslich aus dem Lederetui zieht, wie er an ihr riecht, wie er sie befeuchtet, an ihr saugt. Immer wieder geht es um sein derbes, selbstgefälliges Auftreten, seine kernigen Sprüche. Man belächelt Lunkewitz als Angeber und Neureichen, als großen Jungen, der sich endlich seinen Kindheitstraum gekauft hat, nur dass es bei ihm nicht die Spielzeugeisenbahn war, sondern der Verlag, seine Eintrittskarte in die Welt der höheren Werte. Immer wieder wird auf seine linke Vergangenheit hingewiesen, die er pflegt wie sein Image als Verleger und wie der Philister seine Poesie: Mitglied der KPD war er, in Frankfurt hat er als Student die „Rote Brigade Bockenheim“ gegründet.

Nicht dass an all dem nichts dran wäre – doch Lunkewitz erfüllt nebenbei auch die oft ersehnte und vom Aussterben bedrohte Rolle des modernen Mäzens. Nicht nur dass er sich vor zehn Jahren entschlossen hat, den größten Verlag der DDR, einen aus westlicher Sicht völlig uneffektiven Laden mit hunderten Angestellten, zu übernehmen, in den Folgejahren butterte Lunkewitz, sagt er, auch weitere 30 Milllionen Mark in den Betrieb und machte ihn damit zu einem konkurrenzfähigen mittelständischen Verlag, ohne anspruchslos werden zu müssen. Während alle anderen großen ostdeutschen Verlage wie Volk und Wissen, der Verlag Neues Leben und zuletzt Volk und Welt eingegangen sind, hat sich Bernd Lunkewitz die Tradition des Aufbau-Verlags genau angesehen und es als Einziger geschafft, sie in etwas zu übersetzen, was sich nicht nur nett anhört, sondern auch gut verkauft.

Der Aufbau-Verlag war nicht nur der erste, sondern auch der größte Verlag der DDR. Noch im Sommer 1945 von Heinz Willmann, Kurt Wilhelm und Gregors Vater Klaus Gysi, dem späteren Kulturminister, gegründet, begann der Aufbau-Verlag als Sprachrohr des Kulturbunds „zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“, als Staatsverlag, wie ihn Thomas Mann 1951 genannt hat.

Der Gründungsgedanke, die deutsche Exilliteratur mit der inneren Emigration und dem Widerstand zu versöhnen, also neben Bert Brecht, Anna Seghers, Johannes R. Becher auch Bücher von Hans Fallada, Gerhart Hauptmann und Ernst Niekisch zu verlegen, wurde durch den Beginn des Kalten Kriegs zerschlagen, Aufbau avancierte zur Anlaufstelle für wiederkehrende Emigranten, die im Westen weit weniger freundlich aufgenommen wurden. Als die SED schon Ende der Vierzigerjahre von der Literatur zu fordern begann, den Aufbau des Sozialismus zu propagieren, und viele Exilliteraten diesen Versuch der Vereinnahmung von sich wiesen, begann Aufbau, sich nach neuen Autoren umzusehen: Franz Fühmann und Günter Kunert gehören zu den Ersten, die daraufhin bei Aufbau verlegt wurden.

Die Geschichte des Aufbau-Verlags war bestimmt durch das Auf und Ab verschiedener Tauwetterphasen, abgelöst von restriktiven Perioden. Als die SED 1951 den sozialistischen Realismus ausrief, wich Aufbau ein Stück weit aus, indem zunehmend Klassiker verlegt wurden. Die anschließende Entspannung in der Kulturpolitik nutzte der damalige Verlagschef Walter Janka, verstärkt auch westliche Bücher von Hemingway oder Sartre zu verlegen – bis er zusammen mit seinem stellvertretenden Cheflektor Wolfgang Harich 1956 verhaftet wurde. In den Sechzigerjahren erschienen dann nicht mehr nur Bücher westdeutscher Autoren, auch die Bücher von DDR-Autoren wie Irmtraud Morgner oder Heiner Müller wurden immer unbequemer, der Verlag war zunehmend einem zermürbendem Kleinkrieg mit der Zensur ausgesetzt. Trotzdem gab es immer wieder Versuche, neue Talente zu integrieren und zu fördern: In der Edition Neue Texte in den Siebzigern, wo Bücher von Elke Erb und F. C. Delius erschienen, und in „Aufbau – die andere Reihe“ in den Achtzigern, wo Bücher von Bert Papenfuß, Peter Brasch, Jan Faktor und anderen verlegt wurden.

Als Bernd Lunkewitz den Verlag 1991 übernahm, hieß es erst einmal abspecken. Zum Ende der DDR hatte Aufbau 4.500 Erstauflagen in 125 Millionen Exemplaren verlegt. Drei Viertel der Arbeitskräfte mussten gehen. Wer kurz vorm Umzug des Verlags zum Hackeschen Markt einmal im alten Haus in der Französischen Straße war, der weiß, wie sehr es sich darin nach Geisterschloss anfühlte – leere, weite Gänge, unbenutzte Zimmer überall. Mit Lunkewitz und den neuen Experten aus dem Westen in der Verwaltung auf der einen und vielen Lektoren der alten Schule, die mehr als genaues Arbeiten gewohnt waren und plötzlich doppelt so viel in halber Zeit lesen sollten, auf der anderen Seite prallten unterschiedlichste Universen aufeinander.

Aber Lunkewitz machte seine Sache gut: Nach Jahren mit roten Zahlen kamen seit Mitte der Neunziger die ersten Erfolge. Zum Beispiel die Tagebücher von Victor Klemperer. Oder der Millionenseller „Die Päpstin“ von Donna W. Cross bei Rütten & Loening, einem Verlag, den Lunkewitz für die neue Unterhaltungsschiene bei Aufbau kaufte.

Damit ließ sich etwas anfangen: Lunkewitz betont gern, wie wenig rentabel es sei, weiterhin die Tradition der Pflege der Klassiker zu betreiben, zum Beispiel die große Berliner Ausgabe von Fontane. Immer mal wieder erscheinen neue, junge Autoren wie Tanja Dückers im Programm. Man hält sich nach wie vor die Literaturzeitschrift Neue Deutsche Literatur, die es sich sogar leisten darf, jährlich einen Manuskriptpreis auszuloben. Ja, Lunkewitz, der rauchende Philister, hat es hinbekommen.

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