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Kollaps der Moderne

Jean-Luc Godards futuristischer Anti-Zukunfts-Film „Alphaville“ mit Lemmy Caution kommt wieder ins Kino

Narbiges Pokerface, undurchdringlich schwarze Augen, Trenchcoat und Hut, die wie eine etwas zu heiß gewaschene amerikanische Gangstermontur daherkommen, Pistole und Zigarette selbstverständlich. Der amerikanisch-französische B-Movie-Darsteller Eddie Constantine (der übrigens eine sanfte Bariton-Singstimme besaß), war als steinerner Gutmensch und abenteuernder Haudegen im französischen Nachkriegskino zum Helden geworden. Er verkörperte gute böse Cartoonhelden wie Peter Cheney oder Lemmy Caution, Gewächse amerikanisch-europäischer Heftchen- und Kiezkino-Kultur, zu der die Deutschen höchstens den braven Jerry Cotton aufbieten konnten.

Als synthetische Figur ganz und gar real und populär und als Schauspieler keiner von der dummen Sorte, war Eddie Constantine alias Lemmy Caution für Jean-Luc Godard, den intellektuellen Zeremonienmeister der Nouvelle Vague im Paris der Sechzigerjahre, die ideale Besetzung. Als 13. Werk plante er einen futuristischen Anti-Zukunfts-Film. Die Figur aus der Comic-Strip-Welt sollte als brachiales Gegengift die toxische Überdosis an Computermacht in Alphaville, einem Metropolis mit amerikanischen Limousinen, gigantischen Rechenanlagen und Betonarchitektur, bekämpfen.

Das Thema lag damals in der Luft. Kollege Truffaut adaptierte zeitgleich um 1965/66 den Ray-Bradbury-Roman „Fahrenheit 451“, in dessen Welt Bücher verboten waren und ein Zentralcomputer Liebe und Gefühle kontrollierte. Kubricks „2001“ und Tarkowskis „Solaris“ waren wenig später vom gleichen Affekt gegen eine anonym gesteuerte, totalitäre Moderne geprägt. Ein Godard-Kenner drückte es so aus: „Alphaville“ ist kein Gegenwartsfilm über die Zukunft, sondern ein Zukunftsfilm über die Gegenwart.

Gemeint war damit die zerstörerische Seite der rasanten Modernisierungswelle in Frankreich während der Sechzigerjahre, die die Kinorebellen der Nouvelle Vague zu den widersprüchlichsten Fantasien stimulierte. Bald nach „Alphaville“ stürzte sich Godard in seine maoistische Phase, wo er doch eben noch Lemmy Caution ausgesandt hatte, um die modernistische „Hauptstadt der Schmerzen“ mit Hilfe von Poesie und „Conscience“ (Gewissen, aber auch Bewusstsein) vor der totalitären Kollektivpsychose, kurz: der Seelenlosigkeit zu retten. Wie das zusammenhing, müsste man ihn eigentlich fragen. Aber der Meister der filmischen Dekonstruktion will heute im Rückblick seine alten Filme nicht dekonstruieren, lieber schweigen und andere Filme machen.

Egal – heute gehen wir mit aktuellen Nachrichten über biometrische Daten und Personenkontrolle in den 35 Jahre alten Film. Wir sehen live, wie brachiale Helden in kalten Weltecken den Weg freischießen und sich ziemlich gut dabei vorkommen. Auch Lemmy Caution hat es mit der Aufklärung einer Verschwörung zu tun, er entlarvt den Wissenschaftler, der hinter dem gigantischen Computer steckt und seine Macht durch Schau-Exekutionen bekräftigt. (Allerdings trugen bei Godard die Bösen immer noch deutsche Namen, vor allem jene, die am Atomprogramm beteiligt waren.)

Am Ende ein Tyrannenmord, durch den Caution die verwunschene Tochter des Mabuse-Bösewichts erlöst und ihr den Satz „Ich liebe dich“ endlich beibringt. Die widersprüchlichsten Versatzstücke machen Godards romantische Attacke auf den Kollaps der Moderne wieder aktuell.

Übrig bleibt – wie immer bei Godard – ein bizarrer Überschuss an Bildmaterial und Ideenfetzen, leicht mit Patina überzogenes Spielmaterial für Auge und Hirn. Die Metropole des seelenlosen Computers ist in diesem, in hartem Schwarzweiß gedrehten Film zum Beispiel ein effektvoll verfremdeter Katalog von zeitgenössischen Paris-Bildern (das neue Esso-Gebäude, der Flughafen Orly, eine hochgelegte Metrostrecke). Der Computer ist nichts als ein Ventilator in Makroaufnahme. Pfeile, Leuchtschriften, kalt wirkende Flure und Treppen belegen, wie degoutant Godard das 60er-Jahre-Paris vorkam. Caution ist Journalist – ein Mann des Wortes mimt den Agenten des Guten.

Die Frauen, nun ja, funktionieren traurig als abrufbare Betthäschen mit Nummern am Hals. Auch Natascha (Anna Karina, die damals Godards Frau war und ihn nach diesem Film verließ), die einzig ansprechbare weibliche Figur des Films, muss vom Helden die richtigen Stichworte gesagt bekommen, um sich von Alphaville zu lösen. Liebe ist ein Begriff in Godards Universum, Frauen sind Sphinxen, deren Undurchschaubarkeit der männliche Held mit der Romantik der poetischen Worte trotzt. Über allem eine knallige Actionfilm-Musik mit reichlich Blaswerk. Gerade weil „Alphaville“ weder veraltet wirkt noch eins zu eins übertragbar ist auf Heutiges, bleibt er ein ziemlich herausforderndes Vergnügen.

CLAUDIA LENSSEN

„Alphaville“. Regie: Jean-Luc Godard. Mit: Lemmy Caution, Anna Karina u. a., Frankreich 1965, 98 Min.

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