: Sonntag ist alles vorbei
■ Wo sind Baumschmuck und Glühweinstände, wenn kein Weihnachtsmarkt ist? Was macht ein Topfstand zwischen Kerzen und Wollsocken? Bummel auf'm Christkind-Rummel
Der Weihnachtsmann, der außen am „Happy Sailor“ hängt, ist eigentlich ein Pirat. „Im Sommer nehmen wir ihm den weißen Bart weg. Stattdessen bekommt er einen schwarzen, dann noch einen Säbel in die Hand, und schon ist er fertig.“ Das erzählt Manfred Howey, stolzer Besitzer dieses Karussells, das im Fachjargon „Fahrgeschäft“ heißt. Der „Happy Sailor“ auf dem Domshof segelt noch bis Sonntag abend unter dem Motto „Weihnachten auf See“: Im Moment dreht ein Renntierschlitten in der Mitte des Vergnügens seine Runden, der Weihnachtsmann winkt robotermäßig und Rauschgoldengel verbreiten zu „Jingle Bells“-Klängen vorweihnachtliche Stimmung. Bald schon wird sich an der selben Stelle wieder eine barbusige Nixe in Gesellschaft eines Delfins tummeln. Die Schiffchen, in denen Opas mit ihren Enkeln genauso vergnügt juchzen, wie Kegelclubs aus Essen, tauschen dann ihre weihnachtsbaumförmige Beleuchtung gegen bunte Segel an den Masten. Wenn nicht Weihnachtsmarkt ist, ist bei Manfred Howey Südsee-Stimmung angesagt.
So weit, so plausibel: Weniger plausibel scheint ein gar nicht weihnachtlich anmutender Stand auf diesem Markt zu sein: André und Petra Schönbergs Töpfe- und Pfannenstand. „Wir sind seit 33 Jahren hier, immer an der selben Stelle“, macht André Schönberg klar. „Wir haben hier eine große Stammkundschaft.“ Seine Frau erläutert: „Jetzt brauchen die Leute einen Gänsebräter. Und zu Weihnachten muss man doch genauso kochen, wie sonst auch.“ – Das scheint einleuchtend.
Und was macht der am Mittwoch mit der Auszeichnung „Schönster Weihnachtsmarktstand“ preisgekrönte Glühweinstand aus der Schaustellerfamilie Renoldi im Sommer? Mit seinem künstlichen Schnee auf dem Dach sieht er ziemlich danach aus, als sei er auf den Winter festgelegt. Jedoch, Anne Zeuch, seit rund 15 Jahren im Geschäft, weiß es besser: „Die Glühweinkessel kann man vollständig rausnehmen, dann kann man eine Zapfanlage oder einen Grill einrichten, ganz wie man es gerade braucht.“ Das Dach zieren dann Wagenräder oder eine Schubkarre mit Erntefrüchten statt Engelchen.
Schon nicht mehr überraschend ist die Verwandlung eines Verkaufsstands für Weihnachtsbaumschmuck: Aus ihm wird das „Frosch-Spiel“ auf dem Freimarkt. Wo sich jetzt Packungen mit Christbaumkugeln stapeln, steht dann ein Wasserbecken, in der Mitte ein Eimer, „in den die SpielerInnen einen Gummifrosch katapultieren müssen“, erklärt Britta Huhn.
Noch zwei Tage haben die SchaustellerInnen Zeit, ihre Geschäfte zu machen. Dann kehrt wieder Ruhe ein in die Bremer Innenstadt. Ein bedauerlicher Abschied? Nicht unbedingt. Zugegeben, der Weihnachtsmarkt spricht alle Sinne gleichzeitig an: den Geruchssinn, mit dieser unnachahmlichen Mischung aus Glühwein-, Crepes-, Bratwurst-, Fisch- und Fettgebackenem-Dunst, der auch nachts um zwei noch über den Buden hängt. Das Hören wird vorrangig mit Kinderliedern und kitschiger oder wahlweise verpoppter Weihnachtsmusik bedient, die Augen fordert die plötzlich und unerwartet aufblinkende Leuchtreklame neben flackernden Kerzen heraus. Das Nachdenken darüber, woher ständig diese Menschenmassen kommen, die sich durch die Budengassen wälzen, und was ein Piercing-Stand überhaupt auf einem solchen Markt verloren hat, regt die grauen Zellen an. Hält man sich länger als eine halbe Stunde zwischen Markt, Domshof und Liebfrauenkirchhof auf, kann sogar ein Urinstinkt geweckt werden: Flucht, bloß weg hier!
In wenigen Tagen schon gelangt man wieder in fünf Minuten über Markt und Domshof Richtung Schüsselkorb, auch wenn man es eilig hat. Bis Sonntag läuft man besser im großen Bogen drum herum. Und wer ganz sicher gehen will: Sonntagabend etwa ab zehn Uhr nimmt ein Krahn die nicht zerlegbaren Stände an den Haken um sie einzumotten. Friede auf Erden.
Ulrike Bendrat
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