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Der Ford ist fort

Er war weg. Einfach weg. Eines grauen Novemberabends kam Papa nicht mehr in „unserem Auto“ nach Hause. Er kam in einem anderen. „Das ist der Neue“, sagte Papa und deutete auf das silbern glänzende Gefährt, von dem ich später erfuhr, das es ein BMW sei. „Und unser Auto?“, stammelte ich. „Verkauft!“ lautete die knappe, unbarmherzige Antwort. Seit ich mich erinnern konnte, war er immer da gewesen: der zerbeulte Ford Taunus in zeitgemäßem braun-metallic. Wir waren quasi zusammen aufgewachsen. Er war ein Teil meiner Kindheit. Ich fühlte mich verkauft.

Schnell wurde mir klar, dass es kein Zurück gab. Ich konnte geräuschvoll in Tränen ausbrechen, wütend auf den Boden stampfen oder mit den Fäusten gegen die Wand trommeln: Der Ford war fort und blieb es auch. Doch so einfach würde ich mich nicht geschlagen geben. Ich sann auf Rache. Der Termin stand bald fest: Heiligabend. Auf die Liste für den Weihnachtsmann notierte ich nur einen einzigen Wunsch: „Unser Auto“. Auch auf Nachfrage ließ ich mir keinen weiteren entlocken.

Heiligabend musste ich wie jedes Jahr vor der Bescherung in mein Zimmer. Als ich gerufen wurde, rannte ich den Flur entlang zum Wohnzimmer. Die geöffnete Zimmertür gab den Blick auf den bunt geschmückten Weihnachtsbaum frei, an dessen Fuß eine stattliche Anzahl verschnürter Pakete auf mich wartete. Ich bog zur Haustür ab und lief zur schneebedeckten Garage, in der sich – wie erwartet – noch immer der neue Wagen befand. Augenblicklich verfiel ich in ohrenbetäubendes Wehklagen, das nicht mehr enden wollte. Papas verzweifelten Versuch, die Situation zu retten, ließ ich kläglich scheitern. Ich zeigte mich unbestechlich und weigerte mich standhaft, auch nur eines der Geschenke zu öffnen.

Weihnachten war gelaufen. Das Festmenü fiel ersatzlos aus. Ich verbrachte den weiteren Heiligabend in meinem Zimmer. Allein, aber zufrieden mit meiner bühnenreifen Leistung. Ich hatte Papa eine Lehre erteilt. An diesem Abend hatte das schwierige Projekt der Erziehung meines Vaters begonnen. mac

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