montagsmalerNach Hause fahren zum Fest der Liebe: Schweigen mit Nihil Baxter
Weihnachten ist schwierig. Wenn man sozusagen allein stehend ist und keine Familie oder Ähnliches in Berlin hat, wenn man also keinen stichhaltigen Grund hat, in Berlin zu bleiben, und wie jedes Jahr nach Hause beziehungsweise nach Westdeutschland fährt, wie man als Altwestberliner zu sagen pflegt, ist das eine gewisse psychologische Belastung. Der Boden wird einem gewissermaßen unter den Füßen weggezogen, und man regrediert. Es ist natürlich schön, nach Westdeutschland zu fahren – die Zugfahrt, der Hauptbahnhof in Hamburg, der Bahnhof in Bad Oldesloe, der ZOB in Lübeck (nichts ist so westdeutsch wie die Zentralen Omnibusbahnhöfe), die Busfahrt an einer Station vorbei, die „Fegefeuer“ heißt – und dann an den Fenstern der Doppelhaushälften in der Zwanzigerjahresiedlung vorbeizugehen. Drei Tage ist man dann irgendwie in die Familie integriert.
Am Rande zwar nur, als Onkel. Aber doch. Eine ambivalente Position. Man denkt an Blumfeld, den älteren Junggesellen in der Geschichte von Kafka, wie er heimkommt, den Schrank öffnet, und seltsame, ballähnliche Wesen treiben da ihren Unfug mit ihm. Keine Ahnung, wie das weiterging, dem Onkel ist jedenfalls eine gewisse Überflüssigkeit eigen, und diese Überflüssigkeit wächst mit den Jahren.
Irgendwann wird sich leider auch eine meiner onkelspezifischen Jobs erledigt haben, nämlich am ersten Weihnachtstag mit meiner Nichte ab sechs Uhr morgens im Bett fernzusehen. „Teletubbies“ und den ganzen Kram. Egal. Familie ist natürlich auch der Horror. Diese ekelerregende Familienpropaganda der Bundesregierung in der Friedrichstraße zum Beispiel; mit dieser oberhochschwangeren, äußerst unvorteilhaft aussehenden Frau, die den Kopf ihres Typen da so krault, als wäre er ein Margarinehündchen. Am abstoßendsten an dieser Reklame ist das offensiv dumme, fundamentalistisch-biologistische Gesicht der Schwangeren. Da dachte ich an den Satz, den der Mann einer ehemaligen Freundin, die gerade ein Kind bekommen hatte, auf einer Party zu mir gesagt hatte: „Das hättest du wohl nicht gedacht, dass sie auch mal was auf die Reihe kriegt.“ Das sagte er, während sie selbst die ganze Party wahnsinnig bedrückt gewesen war und eigentlich nur über Selbstmord gesprochen hatte. Und Udo Jürgens lief.
„Was nützt das schlechte Leben“, hatte Harald Juhnke mal gesungen. Nachdem Harald Schmidt eine halbe Stunde lang Tannenbaumständer getestet hatte, bekam man tatsächlich große Lust, sich einen Weihnachtsbaum zu kaufen. Ich gehe sowieso sehr gerne einkaufen; mir gefällt es auch, in der Schlange an der Kasse zu stehen. Manchmal blickt man sich ganz kurz an, im Supermarkt, ein Blick unter Kunden, lächelt, weil man gerade so gestresst durch den Laden läuft, schaut wieder weg. Und meidet danach den Blickkontakt, weil man das Gefühl hat, jetzt müsste man miteinander reden, wenn man sich noch einmal anschaut. Und einem kommt das ein bisschen gestört vor, und man denkt, dem anderen wird das wahrscheinlich auch ein bisschen gestört vorkommen, und dann denkt man an Helge Schneider, „00-Schneider, Jagd auf Nihil Baxter“. Diese eine Szene da, in der der Kommissar mit seinem Assistenten im komplett wahnsinnig eingerichteten Wohnzimmer von Nihil Baxter sitzt. Alle auf völlig durchgeknallten Möbeln ungefähr zehn Meter voneinander entfernt. Langes Schweigen. Dann Nihil Baxter:
„Da sitzt man nun.
Kein Stoff.
Kein Redestoff.
Drei Herren in einem Raum. Schlecht, was? Da kann man wohl schlecht Fotzen lecken. – Ja, sicherlich.“ DETLEF KUHLBRODT
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