einsatz in manhattan: Cocteau, Iran und der 11. September
Über den Wolken
In den späten Vierzigerjahren, befand sich Jean Cocteau von Amerika aus auf dem Weg zurück nach Europa. In dem Flugzeug der Air France, das ihn vom 12. auf den 13. Januar 1949 im Anschluss an seinen dreiwöchigen Aufenthalt in New York nach Paris brachte, verfasste der Autor seinen „Brief an die Amerikaner“, eine Hommage an die Stadt, in der er andächtig von den aufsteigenden Nebelschwaden der Kanaldeckel schreibt, die das winterliche Manhattan in Weihrauchdampf hüllen. Von einem surrealistischen Poeten nicht anders zu erwarten, vergleicht er die USA mit einem Badezimmer, Europa mit einem Düngerhaufen und appelliert an die hoc spezialisierte amerikanische Gesellschaft, eine Zeit lang ihre Maschinen dem alten Kontinent zu überlassen, um sie in humanere umzubauen und damit den Menschen selbst Kindheit wie Würde zurückzuschenken. Ausdrücklich warnt er die Amerikaner davor, sich nicht „dem tödlichen Taumel des Rundfunks und der Television“ zu ergeben oder die wichtigen Dinge zur „Zierde eines Filmstarlächelns“ verkommen zu lassen, anstatt sie mit den „starken Zähnen des Geistes“ zu zerkauen. Denn so und nur so ließen sich falsche Moral und schlechte Gewohnheiten überwinden.
Die blumige Sprache, von Paul Celan ins Deutsche übersetzt, mag sich zum einen den Stilblüten surrealistischen Vokabulars verdanken. Ein weiteres könnte Cocteaus enthobener Zustand im Flugzeug selbst dazu beigetragen haben, in rund zehntausend Metern Höhe vom Jetstream nach Europa getragen.
Wer über die Feiertage von New York aus für die ersten Stunden des neuen Jahres zurück nach Deutschland fliegt, wird – in der Economy Class mit größter Sicherheit von der Rückenlehne des Vordermannes in einem proppevollen Flug eingequetscht – natürlich feststellen müssen, dass diese Freiheit über den Wolken bestimmt nicht grenzenlos ist. Dennoch, die Gedanken sind frei und schweifen ungehinderter als sonst. Gerade gegen Jahresende hin mag sich, so man sie zulässt, eine gewisse Stimmung einstellen, die womöglich dazu beiträgt, der vergangenen Monate retrospektiv noch einmal habhaft werden zu wollen. Für 2001 läuft bei dieser Übung vieles davor- und vieles danachliegende immer wieder auf das Datum des 11. September hinaus.
Im April dieses Jahres, inmitten der Ruinen von Shiraz, einer jahrtausendealten Stadt im Westiran, umzingeln mich Jugendliche, die dort wie stets neugierig auf die Touristen zurennen. Keinerlei Betteln oder der Versuch, etwas zu verkaufen, vielmehr reines Interesse am Austausch mit den kuriosen Besuchern. Sie sprechen Englisch mit mir, zitieren Schwarzenegger im O-Ton („Hasta la vista, baby!“), zeigen auf den Horizont, wo irakische Truppen einbrachen, als sie noch kleine Kinder waren. Deutscher sei ich, wohnhaft in New York, auf ihre Fragen hin irgendwie froh, kein Amerikaner zu sein. Shiraz durchschreitend, verweise ich auf die Ausgrabungen der ehemaligen Hochkultur und sage ihnen, dass man eines Tages, in Hunderten von Jahren, ebenso die Ruinen von Manhattan bestaunen wird: Das hier war einmal New York, Zentrum der Welt.
Keine acht Monate später lässt Bürgermeister Giuliani bei Ground Zero Aussichtsplattformen zum besseren Überblick errichten. Als ich die jungen iranischen Männer auf die Taliban anspreche, reagieren sie peinlich berührt, wie alle, die ich nach Afghanistan frage. „Sie sind schlecht für den Ruf der Muslime“, sagen viele, die sich schämen für die Nachrichtenbilder fundamentalistischer Straßenaufzüge. Erst später fällt mir auf, dass hier mit derselben Scham von den Taliban gesprochen, ja meine Frage als leichter Affront betrachtet wird, gleich so als erkundigten sich ausländische Touristen bei deutschen Passanten mal eben nach Neonazis.
Bei meiner Rückkehr nach New York erscheint mir die Stadt wie ein Sündenpfuhl. Nachdem ich über Wochen höchstens der Knöchel verhüllter Frauen gewahr wurde, ist mir nun fast zuviel, was sich im Hochfrühling auf den Straßen und den riesigen Werbeflächen Manhattans drängelt. Gleichermaßen fällt mir erneut die absolute Heterogenität der Stadt auf. Im Iran, so wie zuvor im Oman und im Jemen, blickte ich ausschließlich in die Gesichter junger männlicher Araber. Schwarze, Asiaten, Weiße oder Hispanics kamen dort höchstens als Touristen vor.
Für die Lacher führe ich in meinem Gepäck „Wir werden uns durchsetzen!“-Sticker mit, die auffahrende Panzer oder Kampfjets vor der US-Flagge zeigen. Die hat mir ein Jemenit im 99-Cent-Store verkauft, der dreimal täglich im Hinterzimmer gen Mekka betet. Andererseits wundern sich Freunde, wenn ich ihnen erzähle, dass selbst William Safire, Amerikas erzkonservativster Kommentator, Bushs Idee von Militärtribunalen für Terroristen wortwörtlich als „diktatorisch“ verurteilt.
Und was schreibt Cocteau? Auf den Vorwurf des Filmstarlächelns, hinter dem die wichtigen Dinge zu verschwinden drohen, meint er die Antwort der Amerikaner bereits zu kennen: „Ich weiß, ihr werdet mir antworten: ‚Was kümmert Sie das alles, Mann aus dem alten Europa?‘ Ich weiß, wie lächerlich es ist zu predigen, wenn man selber eine Predigt verdient“.
THOMAS GIRST
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen