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„Der Kurs ist eine dumme Sache“

Finanzpsychologe Guido Kiell aus Köln erwartet, dass die Menschen in Deutschland bis zu sechs Monate benötigen, bis sie den Euro verinnerlichen

Der leichte Umrechnungskurs wird uns das Leben schwer machenEuropreise brauchen wir nur verdoppeln, schon sind wir im gewohnten System

Interview RICHARD ROTHER

taz: Herr Kiell, waren Sie aufgeregt, als Sie zum ersten Mal einen Euro in die Hand nahmen?

Guido Kiell: Ein bisschen schon. Nach den jahrelangen Diskussionen ist es ein Erlebnis, das neue Geld zwischen den Fingern zu spüren.

Sind die neuen Münzen schwer genug?

Für mich schon, ich konnte keinen großen Unterschied zum jetzigen Geld feststellen.

Die Euromünzen sind etwas schwerer als die D-Mark-Münzen. Wird so das Vertrauen in die neue Währung gestärkt?

Das kann man so nicht sagen. Untersuchungen über die subjektiv empfundene Größe von neuen Geldscheinen in Frankreich oder Großbritannien zeigen: Wenn die Menschen zu ihrem Geld eine affektive Bindung hatten, wurde die Größe alter Scheine im Nachhinein regelmäßig überschätzt. Wer also an der D-Mark hängt, wird die Euroscheine und -münzen als zu klein und zu leicht empfinden . . .

. . . und sich schwer mit dem Euro identifizieren?

Die D-Mark ist in Deutschland ohnehin ein starkes nationales Symbol. Entsprechen die neuen Münzen und Scheine nicht den Erwartungen, lehnen die Menschen das neue Geld eher ab.

Wie verbreitet ist die Skepsis?

Das hängt stark von den Umfragen ab. In Deutschland stehen 40 bis 50 Prozent der Bevölkerung dem Euro kritisch gegenüber. Die Euroskeptiker dürften auch die neuen Scheine und Münzen als nicht schön empfinden. In Ländern wie Spanien, Portugal, Italien, Griechenland ist das genau andersherum. Dort wird der Euro herbeigesehnt. Dort sind die meisten Menschen froh, dass sie ihr Geld nicht mehr in den Händen halten müssen, das ein Symbol für staatliche Misswirtschaft und Inflation war.

Werden sich die Menschen im Süden schneller an das neue Geld gewöhnen als hierzulande?

Ich denke ja. Die Einführung der D-Mark in der DDR ist ja das beste Beispiel dafür. Der Umdenkprozess lief dort so gut wie reibungslos, weil die D-Mark im Osten heiß begehrt war.

Die Ostdeutschen wissen, wie es ist, neues Geld zu bekommen. Kommen sie schneller mit dem Euro zurecht als die Westdeutschen?

Müssten sie eigentlich, aber in den neuen Ländern ist die Euroskepsis stärker ausgeprägt als im Westen. Das Gefühl ist ja, dass man etwas, was man lange ersehnt hat, jetzt wieder hergeben muss. Wer das Neue innerlich ablehnt, braucht länger, um damit klarzukommen.

De facto ist der Euro seit drei Jahren da, die D-Mark war wegen des festgelegten Kurses nur noch eine Umrecheneinheit des Euro. Was macht den morgigen Tag so besonders?

Im Alltag müssen wir völlig umdenken. Wir haben bislang alles im Hinblick auf Qualitität und Preiswertigkeit an D-Mark-Preisen festgemacht. Dieser Umstellungsprozess wird einigen Leuten große Schwierigkeiten bereiten, weil sie das gewohnte Referenzsystem nicht mehr vor Augen haben. Man kann nicht ohne Weiteres entscheiden, ob man gerade viel oder wenig Geld für etwas ausgibt. Schon die Auszeichnung in Europreisen hat dazu geführt, dass Produkte als preisgünstiger eingeschätzt wurden – allein wegen der scheinbaren Halbierung des Preises.

Wie lange wird es denn dauern, bis wir in Euro denken und nicht mehr jedes Mal umrechnen ?

Das ist schwer zu sagen, weil hier ein einmaliges Experiment durchgeführt wird. Die meisten Menschen dürften innerhalb eines halben Jahres die neuen Preise verinnerlichen. Der leichte Umrechnungskurs wird uns in Deutschland das Leben aber noch schwer machen. Die Europreise brauchen wir ja nur zu verdoppeln, und schon sind wir wieder in unserem gewohnten System. Wäre das nicht so einfach, hätten wir die neue Preisskala schneller im Gefühl. Der 1:2-Kurs ist im Prinzip eine dumme Sache.

Wer wird besonders lange brauchen, sich an neue Geld gewöhnen?

Menschen mit geringerer Bildung und ältere Menschen werden sich mit dem Euro schwer tun. Eine Rolle spielt auch das Geschlecht. Eine Untersuchung der Uni Hamburg hat gezeigt, dass Frauen ab 65 große Probleme haben werden, sich an die neue Währung anzupassen. Die älteren Menschen in Deutschland sehen den Euro sehr skeptisch; außerdem sind die Vorbehalte, nicht mit dem neuen Geld zurecht zukommen, bei älteren Frauen sehr ausgeprägt.

Brauchen solche Skeptiker nur länger, vielleicht mehrere Jahre? Oder werden sie sich nie mit dem Neuen anfreunden?

In Frankreich rechnen ältere Menschen heute noch in alten Francs. Möglicherweise wird der eine oder andere noch in zehn Jahren fleißig umrechnen. Aber das wird die Ausnahme sein.

Die Euroskepsis in Deutschland bleibt. Wie lange noch?

Wir sind schon durch unseren Organismus dazu prädestiniert, uns an die Dinge zu gewöhnen, die unabwendbar sind. Das Gewohnte beurteilen wir in der Regel auch positiver. Die Euroskepsis wird mit der Bargeldeinführung kurzfristig zunehmen, aber die Akzeptanz wird im Laufe des Jahres steigen.

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