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die winner-edition

Roter Stern Schöneberg

Diese Geschichte lässt sich nur nach den Feiertagen erzählen; wenn die ganze Schenkerei vorbei ist. Jetzt kann man endlich zugeben oder auch angeben: Das größte Paket, das im Strom der weihnachtlichen Werbepräsente bei der taz einlief, war für mich. Eigentlich hatte ich ja auf ein ganz kleines Päckchen spekuliert. Aber weil ich in meinen Redakteurinnenpflichten versagt hatte, wurde es eben dieses Riesenpaket, das dann allerdings wirklich eine Überraschung war. Gewöhnlich werden Verliererinnen ja nicht mit Geschenken bedacht. Die Uhrenmanufaktur Nomos hält es damit freilich anders.

Zuerst einmal kam im November ein kleines Büchlein an mit einem Brief, in dem stand, dass sich in das Garantiebuch von Nomos Glashütte, denn darum handelte es sich bei dem Büchlein, ein gravierender Fehler eingeschlichen habe. Die werten Damen und Herren von der Presse würden ihn aber aufgrund ihrer täglichen Redaktionspraxis sofort erkennen. Unter den ersten zehn, die den Fehler finden und melden, würde dann eine Nomos Tangente verlost. Hätte ich damals schon gewusst, dass der Herr Becker mangels Uhr ein Zeitdieb und Zeitausleiher ist, wie er an dieser Stelle wenig später bekannte, hätte ich das Büchlein natürlich an ihn weitergeleitet. Er hätte es sicher richtig gemacht. Nicht, dass ich keinen Fehler gefunden hätte! Aber als dann vier Wochen später dieses wirklich riesige Paket mit dem Absender Nomos im Empfang der taz stand, war mir sofort klar: Ganz richtig konnte ich mit meiner Fehlerredaktion nicht gelegen haben. In dem Paket fand sich ein großer roter Herrnhuter Papierstern, schön verpackt, dass ihm auf dem Weg auch kein Schaden geschehe. Was nicht so einfach ist, weil er ja vor allem aus langen Zacken besteht. An sich werden diese Zacken einzeln geliefert, und dann baut man den Stern zusammen. Aber die Uhrmacher von Nomos dachten sich wahrscheinlich, Leute, die nicht rausfinden, dass man keinesfalls die Krone rausziehen muss, um die Uhr aufzuziehen (das muss man nur, um sie zu stellen), sind auch zu blöd, die vier- oder dreikantigen Zacken mit Hilfe von Briefklammern zusammenzubauen – und hatten es deshalb gleich selbst getan.

Immerhin, zu meiner Rechtfertigung darf ich anführen, dass ich meine Uhr nie aufziehen muss. Wie soll ich also auf den Fehler kommen? Nein, ich bin keine elende Quarzuhrbesitzerin. Ich nenne eine schöne Schweizer Automatikuhr mein Eigen. Es handelt sich sogar um eine Auflage, von der vor Jahren einmal tausend Stück hergestellt wurden, mit Glasboden, dass man zuschauen kann, wie die Zeit gemacht wird. Winner-Edition Nr. 0135. Naturgemäß, wie aus dem zuvor Gesagten folgt, hat Winner rein gar nichts mit Sieger oder Gewinner zu tun. Winner steht für den Maler und Bildhauer Gerd Winner, Professor an der Akademie in München, der für diese Uhr das großartigste Zifferblatt entworfen hat, das man sich denken kann. Auf schwarzem Grund bewegen sich ein kleiner und ein großer weißer Zeiger sowie ein orangefarbener Sekundenzeiger. Um den schwarzen Grund läuft ein Ring bunter Farben, der jeweils zehn Minuten in Orange, Rot, Lila, Blau, Grün und Gelb unterteilt. Wenn ich dreißig Minuten joggen will, dann laufe ich orange, rot und lila oder rot, lila und blau: einfach drei Farbsequenzen. Da gibt es keinen Irrtum mehr, wann dreißig Minuten vorbei sind. Machen Sie das mal mit einer Uhr mit einem ganz normalen Zifferblatt. Da wissen Sie schnell, warum alle Welt plötzlich Chronometer mit Stoppfunktion braucht. Ich bin, das muss ich zugeben, ganz vernarrt in das Zifferblatt. Manchmal schaue ich einfach drei Minuten auf die Uhr, nur um zu schauen, wie sich dieser orangefarbene Sekundenzeiger über die Minuteneinteilung schiebt. Bin ich froh, dass ich mir Zeit nicht blitzschnell ausleihen muss wie Herr Becker. Ich kann sie richtig genießen.

Und was ebenfalls schön ist an meiner Fortis-Uhr: Sie kostete gerade mal halb so viel wie die preiswerteste Nomos. Oder ein Zehntel von dem, was die billigste Rolex kostet. Und, bitte: Die Automatik hat nicht Rolex erfunden, sondern der Engländer John Harwood, der gemeinsam mit dem Fortis-Firmengründer Walter Vogt 1924 die Serienproduktion der Harwood Automatik begann. 1926, auf der Messe in Basel, wurde die Uhr erstmals der staunenden Welt präsentiert. Und weil sie ja nicht aufgezogen werden musste, hatte sie überhaupt keine Krone! Da wäre kein Fehler zu machen gewesen. Aber wo kein Fehler ist, da leuchtet auch – dank der kleinen 25-Watt-Birne im Innern – kein roter Stern in Schöneberg. Es ist ja merkwürdig mit PR und Werbung. Dass Fortis, wie ich das beobachte, so gut wie nichts macht, beunruhigt mich. Wie kann die Firma überleben? Ich fürchte, irgendwann kommt der schreckliche Herr Arnault, dem schon die halbe Welt des Luxus und der Moden gehört, kauft sie auf, und dann gibt es überhaupt keine solide Schweizer Uhr mehr, die sich ein Mensch mit wenig Geld leisten kann. Dann muss man sich wie der Herr Becker die Zeit leihen – oder die Uhr klauen. BRIGITTE WERNEBURG

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