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Stadt und Land, Alte und Neue Welt

■ Traditionelles Original und kritische Auseinandersetzungen: Das Philharmonische Staatsorchester kombiniert Stücke von George Gershwin, Elliott Carter und Jean Sibelius

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts war es für amerikanische Komponisten unerlässlich, eine Zeit lang in Europa zu studieren, um sich die strengen Regeln von Kontrapunkt und Harmonielehre beibringen zu lassen. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat warfen dann viele von ihnen diese Regeln wieder über Bord, um sich fortan einer eigenen, radikal subjektivistischen Musik zu widmen.

Es liegt auf der Hand, dass eine unterstellt spezifisch amerikanische Art von musikalischer Freiheit also als Reaktion auf die europäische Musiktheorie verstanden werden kann. Manch einer behauptet gar, dass es sich bei den Klängen der Neuen Welt auch in Momenten der unbegrenzten Neukonstruktion eigentlich um einen „Spezialfall der europäischen Musik“ (Ulrich Dibelius) gehandelt habe. Trotzdem steht fest, dass die kritische Auseinandersetzung mit den traditionellen Idealen bisweilen zu Errungenschaften führte, die in Europa undenkbar gewesen wären.

Nicht immer machte sich dieser Bruch mit der Überlieferung in Form von besonders harschen Klängen bemerkbar. Bei George Gershwin etwa reichte schon der unverkrampfte Umgang mit den Begriffen „Kunst“ und „Unterhaltung“ zur Begründung eines neuen Genres. Gershwins Rhapsody in Blue, allseits bekannt und beliebt als musikalisches Sinnbild für die pulsierende Großstadt, gilt nicht zuletzt auch als Prototyp des sinfonischen Jazz.

Das Stück wird beim 5. Saisonkonzert des Philharmonischen Staatsorchesters in der Musikhalle ebenso zu hören sein wie ein Werk von Gershwins Landsmann Elliott Carter. Dieser pflegt ebenfalls gerne Dinge zusammenzudenken, die nicht unbedingt zusammen gehören. Seine Vorliebe für die rhythmischen Eskapaden etwa Igor Strawinskys führte den inzwischen 93-jährigen Carter bereits vor geraumer Zeit zur Technik des „multiple layering“, bei der unterschiedliche Tempi gleichzeitig ablaufen. Seine Variations for Orchestra, die auf dem Programm stehen, sind so geprägt von geradezu babylonischer Stimmenverwirrung.

Nach der Pause wird dann alles anders sein, denn etwas Europäischeres als die Arbeiten des finnischen Nationalkomponisten Jean Sibelius kann man sich eigentlich kaum vorstellen. Auch das zuvor gegebene betont Städtische der Herren Carter und Gershwin kehrt sich hier ins Gegenteil, denn Sibelius suchte schon als junger Mann das Weite und ließ sich in einem Haus auf dem Lande nieder, um ungestört über seinen üppig-romantischen Werken zu brüten. Sibelius' 2. Sinfonie, die zu hören sein wird, beschreibt die finnische Landschaft, klagt über die Unterdrü-ckung und beschwört die Befreiung von der russischen Herrschaft. Glück dem, der in letzterem Punkt eine Verbindung zum ersten Teil des Konzertes sehen möchte. Es dirigiert Matthias Bamert, Solist am Piano ist Paul Gulda.

Andi Schoon

Sonntag, 11 Uhr, Montag, 20 Uhr, Musikhalle; Einführung jeweils 45 Min. früher

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