: Wagner auf der Couch
■ Klamottig und ideologiekritisch: Bremerhaven hat einen fliegenden Holländer mit Gegenwind
Wer eine Wagner-Oper inszeniert, sollte seine Musik lieben – auch wenn er den Plot und den mythologischen Background der Oper ideologiekritisch wendet. Und in erster Linie zeigen will, dass er in der Lage ist, diesen Heros der bürgerlichen Innerlichkeit zu entzaubern.
Was tun also mit Senta, jener jungen Frau, die sich für den rettungslos verlorenen Geliebten opfert, und was tun mit dem „Fliegenden Holländer“, diesem Outlaw, der aufs Meer verbannt ist und sich nach Erlösung durch ein fraglos treues Weib sehnt?
Der Regiegast Kay Kuntze hat jetzt am Stadttheater in Bremerhaven eine Antwort gesucht: Er bürstet Wagners Sturm- und Drangstück „Der Fliegende Holländer“ gegen den Strich, er nimmt die Figuren der Oper satirisch unter die Lupe. Das funktioniert tatsächlich in der zentralen Szene, wenn die Kapitänstochter Senta zu Beginn des Zweiten Aktes in ihrem Zimmer sitzt und die bleiche Gestalt des Holländers auf dem Bild an der Wand besingt. Aus Wagners Spinnstube mit Dorfmädchen macht Kuntze erfrischend frech eine gekachelte Lehranstalt für künftige Mütter.
Um die „Funktionalisierung der Frauen zu Hausautomaten“ (Zitat Kuntze) zu verdeutlichen, stellt er die Sängerinnen des Stadttheater-Chors hinter lauter Pulte, an denen sie zum Takt der Musik Hemden Bügeln und Babys wickeln. Die Amme (Katarzyna Kuncio) wird zur Rohrstock schwingenden Lehrerin. Diese Umdeutung wirkt deshalb nicht trivial, weil sichtbar wird, wie Senta sich ihrer „Sozialisierung“ verweigert. Sie verlässt das Pult und geht zu den Bildern, an denen sie malt – es ist immer das gleiche Motiv, es ist der fliegende Holländer, dessen Portrait sie vervielfacht an die Wand der Lehrküche hängt, wofür sie von den braven Automaten-Mädchen ausgelacht wird.
Aber leider muss Kay Kuntze sogleich analytisch zerstören, was er hier aufbaut: Er muss Sentas Schmerz entlarven. Er macht sichtbar, dass das arme Weib von einem selbstzerstörerischen Wahn besessen ist: Sobald der Holländer in ihre Küchen-Stube tritt, besingt sie nicht ihn, sondern sein Bild an der Wand. Wir verstehen: Sie ist Gefangene ihrer Projektion.
Und der Holländer? Er kommt mit einem Koffer, in dem er ein unglaublich hässliches Engelskostüm mit sich schleppt. Sobald er Senta sieht, legt er ihr das Federgewand an. Natürlich muss die Sängerin Sarah Johannsen in dem blöden Kostüm wie ein hässliches Entlein aussehen. Wir begreifen: Der Mann hat keinen Blick für sie, sondern nur für seine Projektion. Er sieht in jeder Frau den erlösenden Engel.
Schön und gut, das mögen Pointen sein, die Sinn machen, aber sie lassen den gewaltigen Strom der Musik im Stich. Sie zeigen nicht, was hör- und fühlbar ist, sie erklären mit penetrantem pädagogischen Zeigefinger, was wir von diesen merkwürdigen Liebesleuten denken dürfen. Originalton Kuntze: „Holländer und Senta haben ein Bild, eine idealisierte Erwartung von der jeweils erlösenden Figur“. So ist das Schiffsinnere des Holländers (Bühne: Susanne Sommer) eine verspiegelte „Psychogruft“, Komplement zum „Psychokäfig“, in dem Senta sitzt.
Halten wir Kay Kuntze zu gute: Er will verhüten, dass wir Wagners Klangfülle ungefiltert ausgesetzt sind. Aber sein Konzept geht nicht auf, weil die Musik diesen kurzen Prozess mit zwei Außenseitern nicht mitträgt. Sie gibt ihnen im Gegenteil Recht. Ihr wildromantischer, todeslüsterner Schmerz wird vom Komponisten nicht auf die Psycho-Couch gelegt.
Wo Kuntze Fixierungen und Blockaden sieht, hören wir – wenn wir uns auf Wagner einlassen – etwas ganz anderes: Das hohe Lied des tiefen Schmerzes. Wagner-Kenner Ulrich Schreiber sieht in Sentas Treue „menschenverachtenden Kadavergehorsam“ angelegt und im Holländer „aggressive männliche Selbstüberhebung“. Es bleibt ein kaum lösbares Problem, wie damit auf der Bühne umgegangen werden kann, ohne die Musik ins Leere laufen zu lassen.
Orchester-Chef Stephan Tetzlaff hat das vorzüglich präparierte Orchester bestens im Griff: Das beginnt mit der Ouvertüre, die betont nüchtern und fast zart vorgeführt wird. Keine Verklärung, scheint das Programm dieser Interpretation zu sein. Präzise durchdringt Tetzlaff die großen musikalischen Bögen, ohne ihnen ihre Sinnlichkeit zu nehmen. Höhepunkte sind die bewegten Chöre, die zum Teil auch szenisch überzeugen, sowie Sentas Ballade, in der Sarah Johannsen mit voluminöser Stimme ihre gesamte Kraft entfaltet. Überragend, ebenso warm wie strahlend singt Thomas Jesatko – Gast aus Mannheim – die Partie des Holländers.
Wagners romantische Oper in Bremerhaven: Musikalisch ein Genuss, als Inszenierung witzig, fragwürdig, klamottig, auch beim Publikum umstritten: Buhrufe und Bravos nach der Premiere. Uneingeschränkter Beifall für Solisten und Orchester. Hans Happel
Weitere Aufführungen: 4., 9., 12., 19., 29. und zum letztem Mal am 31. Januar. Karten unter Tel. (0471) 48 206 -0
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