Kurhaus-Transvestiten von Welt

■ Hölle, Hölle: Das Berliner Cabaret „Chez Nous“ zeigt eine Travestie-Show mit vorproduzierten Zuschauerchören

Ja was denn, ist doch alles da: Scheinwerfer auf der Bühne, sage und schreibe vierundzwanzig, zwölf links und zwölf rechts. Wie damals auf dem Schulball hängen sie von diesen Gerüsten zum Ausfahren, nicht besonders elegant, aber praktisch. Und in der Mitte der Bühne, eine Showtreppe: Sie kann blinken. Sie ist ungefähr zwei Meter hoch und damit keine wirkliche Verbindung nach oben, zu den Stars. Aber immerhin, sie existiert und sie macht deutlich: Es ist Show-Time.

Auf dem Programmheft seht: „Die weltberühmte Travestie-Theater-Show, Cabaret Chez Nous aus Berlin“. Conférencier Rita Calypso später auf der Bühne: „Wir sind heute Abend zu Ihnen gekommen, damit Sie für eine glamouröse Show nicht nach Paris oder Las Vegas reisen müssen. Guten Abend, Bremen!“

Guten Abend, Bremen: Es ist kurz nach 18 Uhr, die erste von zwei Vorstellungen an diesem Samstag hat gerade begonnen und das Waldau-Theater ist fast ausverkauft. Die Travestie hat viele alte Freunde – hier ist keiner unter dreißig, nur wenige sind unter vierzig. Die meisten hier kennen das Cabaret wohl aus ihrer Jugend als die einzige Möglichkeit, im Nachkriegsdeutschland nackte Haut zu sehen. Ein Blick auf den Tourplan bestätigt: In Bad Harzburg und in Hitzacker treten „Chez Nous“ gleich im Kurhaus auf. Andererseits sind sie in Dormagen und Geldern in den Aulen der dortigen Gymnasien. Ein Programm für die ganze Familie?

Harmlos ist das alles schon. Rita Calypso gibt sich zwar beste Mühe, zotig und derb zu sein – „Tupper-Partys, das sind die Veranstaltungen, auf denen sich ältere Damen gegenseitig ihre Dosen zeigen“ –, im Comedy-Zeitalter hält sowas aber nicht wirklich wach, der Bereich unter der Gürtellinie ist schon von allen Seiten ausgeleuchtet. Müssen also andere Reize her: Aus Sicht des Tabus ist der Höhepunkt der Show der nackte Busen des Transsexuellen Kim. Bestaunt werden darf das Ergebnis einer Hormonbehandlung – wie beim Nachkriegsstriptease für einen kurzen Augenblick nach einer langen Tanznummer.

A propos Tanz: Die Choreographien der Herren zeichnen sich aus durch grazile Gemächlichkeit und die Mundbewegungen zur Musik vom Plattenteller wirken wie ein nostalgisch rührender Beitrag zum Thema Simulation. Aber egal, denn worum es bei „Chez Nous“ in der Hauptsache geht, das sind die tatsächlich sehr aufwändigen Kostüme, die Roben und Pailetten, die Klunker, Boas und die Latex-Mieder. Das Ganze ist eine Kostümshow – und damit lässt sich leben, dabei kann man abschalten, vor allem, wenn im Lauf des Programms die dritte Version von Gloria Gaynors „I'll survive“ aus den Boxen kommt.

Ernsthafte Fluchtgedanken kommen nach der Pause: Die „Gesangsattraktion Yvonne Parker“ adaptiert mit männlich-mediokrer Stimme Michelles „Flammen im Wind“ und fängt dann mit Wolfang Petri an, „Wahnsinn“, alle sollen mitsingen. Und dabei ist dann das Play-Back schon der Mitsing-Mix, „Hölle, Hölle, Hölle“ kommt als vorproduzierter Zuschauerchor professionell abgemischt sowieso aus den Boxen. So ist das in der verkehrten Welt des Cabarets: Männer sind Frauen, Zuschauer sind Tonbänder. Nur die Euros in der Kasse, die sind echt. Klaus Irler