: Die Bonnerinnen kommen
Küsschen, Küsschen! Mit manchen Frauen gestaltet sich das Anbandeln schwierig. Silke aber will immer nur küssen. Wir sind ein schönes Paar: schön, aber hässlich. Und lernen uns im Bett bestens kennen. Eine Kurzgeschichte
Irgendein Abend, an dem ich an kulturell untermaltem Betrinken teilnehme. Ich stehe am Tresen und warte auf das Programm. Neben einer Frau. Mir scheint, sie ist ganz alleine auf der Welt. Deshalb frage ich sie, wann es hier endlich mal losgeht und was auf dem Programm steht. Das ist meine persönliche Version von „Haben wir uns nicht schon mal irgendwo gesehen?“ Sie weiß es nicht, deshalb verrate ich es ihr, „Ach, es wird wohl gleich losgehen. So ’ne Gesprächsrunde: Lesben fragen – Bauarbeiter antworten. Wird wohl nich so lange dauern.“
Sie spricht so ein kleines bisschen rheinisch. Grund genug für mich, sie zu fragen, „Oh, woher kommst du? Aus dem Rheinland?“ Es kommt vor, dass mir eine Frau auf diese leicht zu variierende Frage, ihre politische Unzufriedenheit, ihre persönlichen Probleme, ja, scheinbar ihren ganzen Lebenslauf schildert. Ich heuchle Verständnis, sie geht auf einmal. So habe ich mir das aber nicht gedacht. Dagegen antwortet Silke, so heißt diese rheinische Frohnatur, nur, „Ja, ich komme aus Bonn. Das liegt bei Köln.“
Mir macht das nichts aus. Immerhin ist Silke kein armes Mädchen aus Kreuzberg, das im Friedrichshain wohnt. Mit den chronischen Geldsorgen fremder Frauen habe ich keine Probleme, aber mit den kostspieligen Ansprüchen. Sicherlich muss ich mir für Silke keine andere Mütze aufsetzen, damit ich nicht so alt aussehe. Sie weiß, das ich zeitlos wirke. Bestimmt werden wir uns so lange amüsieren, wie sie meine langweilige Verschwiegenheit als gutes Zuhören einstuft.
Wir verstehen uns. Klarer Fall: Wir werden Pilze suchen gehen und Dampferfahrten machen. Aber zuerst werden wir mal sehen, was in dieser Villa Kunterbunt passiert. In mein Geläster stimmt sie mit ein. Es geht um Menschen, die ewig umeinander herumschleichen. Um verhuschte und verlotterte Männer und um mausgraue und verschrobene Frauen. Wir mögen keine anstrengenden, aufgeklärten Sektierer. Der Herr im Himmel hat mir Silke geschickt, als Wiedergutmachung für diese Frau, die mit mir über Literatur reden wollte. Silke will immer küssen. Mit leicht geöffnetem Mund, ziemlich trocken, nur so ein bisschen herumzüngeln. „Aber nicht die Kehle berühren!“
Schade, denke ich, weil die Frauen immer so küssen, wie sie dann auch was anderes machen. Immerhin raucht sie nicht. So bleibt mir dieser Hauch von Rachenfäulnis erspart. Intimschmuck trägt sie nicht, erzählt sie ungefragt. Das wäre mir auch unangenehm, wenn ich sie meinen Eltern vorstelle. Wir sind ein schönes Paar. Schön, aber hässlich. Eine Frau mit einem Bein und drei Armen, und ein Mann mit zwei Köpfen. Das klingt unwahrscheinlich, es entspricht aber der Realität. Wir sind hässlich, hässlich, hässlich. Objektiv betrachtet sind wir schön, sehr schön. „Gehen wir zu dir oder zu mir? Nehmen wir ein Taxi oder den Behindertentransport?“
Silke wohnt schräg gegenüber vom Haus, das es aufgrund einer Gasexplosion nicht mehr gibt. In ihrer Charlottenburger Wohnung ist alles sehr modern: Zentralheizung, Grammofon, Badewanne. Ihre Wände schmückte diese liebenswerte Kulturimperialistin mit Revolutionsromantik: Che Guevara, Karl Marx, Wolfgang Niedecken. „Küsschen, Küsschen. Ab ins Bad!“ Na ja. In meinem Altbau ist das heiße Wasser eher lauwarm. Aber hier? Ich halte meine Unterleibsnase unter den Wasserhahn und drehe heißes Wasser auf. Heraus kommt kein lauwarmes Wasser! Verdammtes, modernes Charlottenburg! Wenig später bin ich wieder gesund. Wer in ihrer Wohnung schlafen will, nicht aber in ihrem Bett, der braucht auch nicht in ihrer Wohnung schlafen.
Was für eine Frau! Vielleicht sogar die letzte Unmoderne in unserer übersexualisierten Kultur. Zuerst fiel mir ihre Traumfigur unter ihrer Alternativvermummung gar nicht auf. Sie hat ein Kondom zur Hand. „Ja, gerne.“ So gerne wie ich auch in einen Taucheranzug steige. Den Sensationen der Zärtlichkeiten folgen Feuerwerke der Gefühle. „Küsschen, Küsschen.“ Ein Schamhaar kitzelt meinen Rachen, es will nicht mehr raus. Ich röchle ein wenig und befördere es mit der Zunge an ihren Oberschenkel. Silke verzeiht mir. Dafür will sie oben liegen. „Nein, nein! Na gut.“ Sie ist mir zu wirsch. Ihr Rhythmus ist nicht der meine. „Silke, meine lebensfrohe Blitzkriegerin, ick bin Berliner, ick will alles bestimmen!“ Wieder obenauf geht es unbefangen hin und her.
Wir müssen keine gute Meinung voneinander haben. Wir spinnen uns aus, wie beim unbeschwerten Onanieren. Langsam lernen wir uns kennen. Silke ist keine stille Genießerin. Mir scheint, sie fiebert. Es ist grausam, aber auch zum Lachen. Das böse Kondom haben wir längst vergessen, es liegt irgendwo rum. Und so kommt, was kommen muss. „Küsschen, Küsschen.“ Und: Schneller schlafen! Wenig später: „Guten Morgen! Aufstehen! Frühstück!“ Silke kann einerseits wunderbar Kaffee kochen und frische Schrippen holen. Sicherlich ist sie keine Frau, die auf eine herzliche Art von sich sagt, dass sie nicht kochen kann, gerade so, als ob sie den Anschein erwecken will, dass dieses Unvermögen eine Errungenschaft wäre.
Andererseits kann Silke schreckliche Fragen stellen: „Weshalb kommst du so verliebt daher? Ist dir das nicht selber unheimlich?“ „Aber Silke, es ist doch nur vorgegaukelt!“ Unsere wirtschaftlichen Diskrepanzen sind für sie auch ein Thema. Ich bin ein Tagelöhner. Sie ist eine emanzipierte Frau. Sie kann mich ernähren. Mir macht das nichts aus. Sie ist eine Amerikanerin aus Bonn. Das liegt bei Köln. Ich bin ein Russe aus Berlin. Sie muss zur Arbeit, um den Regierungsumzug zu beschleunigen. „Ja, auch sonntags!“ Ich muss unbedingt zum Fußball. So viel zum Sport. ANDREAS GLÄSER
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