Scheiterer auf Sinnsuche

Viele Frage- und Antwortspiele zum großen Thema Existenz und auch ein paar Hexen im Zauberwald: Sechs junge Choreografen präsentierten bei den Tanztagen ihre Arbeiten, darunter Steffen Doering mit seinem Stück „Left to rust“

Zu Beginn des Stücks sind es die Verrenkungen vor dem Schwarzlicht, das aus einem kleinen, auf dem Bühnenboden abgelegten Strahler kommt. Schon stellt sich eine theatralisch-surreale Spannung ein. Hinter dem Strahler kniet im sonst dunklen Raum eine Tänzerin, die sich langsam und wie unter großen Mühen zu bewegen beginnt. Geisterhaft zeichnen sich ihre Glieder vor dem silbrig-violetten Lichtspot ab. Man sieht nur Teile von Schulter, Arm oder Bein, die sich nicht zu einem Körperganzen fügen wollen und ans Licht heran huschen. Man fragt sich nach dem Hintergrund dieser Geheimnishaftigkeit.

Sechs „Junge Choreografen“ präsentierten am Donnerstag bei den Tanztagen ihre Arbeiten in den Sophiensælen in Mitte, darunter Steffen Doering, der sein in Kooperation mit dem Künstlerkollektiv „Zephir in Zanussi“ entstandenes „Left to rust“ zeigte. Sein zehnminütiges Bewegungsstück für drei Frauen, dem der Einfluss der bildenden Kunst ziemlich stark anzumerken ist – er verwendet Schwarzlichtstrahler und farbige Lichtinstallationen, die den Bühnenrand säumen, er stellt die Tänzerinnen im Anfangsbild zu einer Skulptur zusammen – wartet, trotz gewisser, nicht zu übersehender Manierismen, mit Überraschungen auf.

So sieht man später, nachdem sich die anfängliche Starre auf der Bühne bereits in Bewegung aufgelöst hat, dass eine Tänzerin mit den Füßen an Steinblöcken festgebunden ist. Sie setzt alles daran, die fehlende „Beinarbeit“ durch einen pfündigen Oberkörperaktionismus wettzumachen, sie kämpft mit dem Torso um Ausdruck und Mobilität.

Das ist beeindruckend. Das Gleiten, Laufen und Drehen der Tänzerinnen ist – wie so oft im zeitgenössischen Tanz – ein Frage- und Antwortspiel zum großen Thema Existenz. Schade nur, dass sich die schwarzlichtinduzierte Spannung, die vielleicht auf den Ursprungsmythos des Tanzes als kultisches Ritual verweisen möchte, nicht auflöst. Doerings Partnerin Helen Plewis gelingt es mehr, auf den Punkt zu kommen.

Ihr Stück „Something beginning with I . . .“ ist das klarste, mit fünfzehn Minuten Dauer das längste und zugleich das letzte Stück des Abends. Plewis bildete sich bei Merce Cunningham, einem der Postmodernisten des Tanzes, in New York aus, bevor sie, wie Steffen Doering, an der südenglischen „University of Chichester“ Tanz und Choreografie studierte. 2001 gründeten Plewis und Doering das Künstlerkollektiv „Zephir in Zanussi“, um mit Crossover-Techniken zu arbeiten. Auch Plewis’ Gruppenstück merkt man die Bedeutung des skulpturalen Aspekts an: Im Bühnenhintergrund steht ein abgestorbener Baum, der – bedeutungsschwanger! – an Hexen und Zauberwald denken lässt.

Die fünf Tänzer tragen schwarze Sporttrikots mit weißen Krägen, sind um die Augen schwarz geschminkt und sehen aus wie die androgynen Figuren einer Zwanzigerjahre-Koksparty. Jetzt fehlt nur noch die zum Scheitern verurteilte Sinnsuche des entwurzelten Subjekts, denkt die Rezensentin mit Grauen. Doch nein, Helen Plewis hat Humor, sie fällt ihrem Dekorpathos, das sich als „modern“ bezeichnen ließe – dramaturgisch in den Rücken. Das ist wunderbar. Sie setzt einen Mann auf ein klitzekleines Kinderfahrrad und lässt ihn wie blöd damit umher fahren und idiotisch in die Runde blicken. Die anderen beobachten sich gegenseitig wie junge Primaten, ohne sittlich bedingte Scheu, beim Küssen, Anfassen, Annähern und Abweisen. Sie proben Liebe und Krieg, Kinderspielplatz und Gruppentherapie, und immer geht es um die Laborsituation „Mensch“. Um das, was man „ist“, als Einzelner oder in Bezug zur Gruppe.

Ganz anders präsentierten sich die Italienerin Gilda Bellifemine und die Berlinerin Lea Helmstädter. Zu klassischer Musik von Claudio Monteverdi zeigten sie ein sehr harmonisches Duo, „Counterpoints in the Wilderness“. Helmstädter tanzt den fröhlichen, sinnlichen Tanz der Braut, bis ihr die Musik abbricht und sie nur noch zucken kann. Dann erscheint Bellifemine wie der Schatten des Fröhlichen und tanzt sich aus ihrer Reihe Zierkürbisse hervor.

Nicole Baumann und Konstanze Büschel, Absolventinnen der Berliner Tanzakademie „balance 1“, zeigten, dass sie ihr Bewegungsmaterial sicher beherrschen und sich auf die Suche nach „Themen“ begeben. Der Ansatz einer Idee immerhin schimmerte hervor. Ablesbar war sie allerdings noch nicht.

JANA SITTNICK

„Junge Choreografen“, noch heute, um 20 Uhr, Sophiensæle, Sophienstraße 18, Mitte