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Versammlung der Politik-Verdrossenen

■ Volles Haus bei Schill: Rund 150 Oldernburger zog es zu erster Info-Veranstaltung / Gründung der Partei Rechtsstaatlicher Offensive im Januar / Protestierende SchülerInnen verprügelt

Die Hauptperson war nicht gekommen. Entgegen früherer Ankündigungen starrte Ronald B. Schill bloß von zwei Postern in die Oldenburger Menge, Freitagabend als seine Partei der Rechtsstaatlichen Offensive zur ersten großen Info-Veranstaltung ins Hotel Heide geladen hatte. Aber auch ohne Schill wurde es voll.

Für 80 Leute war der Saal gemietet. Mindestens 150 drängelten schließlich hinein: Hauptsächlich Männer, hauptsächlich Ältere, die zwar viel von Politik reden, aber das nur noch mit Verachtung. Die Oldenburger Schill-Veranstalter, die Ende Januar dort ihre Partei gründen wollen, reden genauso verächtlich. Vom Staat zum Beispiel und seiner „arroganten Überheblichkeit dem Bürger und seinen Sorgen gegenüber“. Oder darüber, dass es bei jeder Wahl im Grunde doch nur darum ginge, „das kleinere Übel zu wählen“, und dass die „eigene Stimme nichts zählt.“ Bravo, ruft jemand von ganz hinten. Die meisten nicken zufrieden, als spräche man ihnen aus der Seele.

Für eine Stadt wie Oldenburg ist es aber schon erstaunlich, was Schill an Frustpotenzial mobilisiert. Bislang spielten dort weder DVU noch NPD eine Rolle. Die 160.000 Einwohner große Stadt an der Hunte „bietet doch eigentlich keinen Nährboden, wenig sozialen Brennstoff für die Rechtspopulis-ten“, sagten im Vorfeld Politiker der beiden großen Parteien. „Jedenfalls nichts im Vergleich mit Hamburg“, so zum Beispiel der Kreisvorsitzende der CDU, Lutz Stratmann. Auch sein Kollege von der SPD, Wolfgang Wulf, vermutet, dass Schill viele aus dem Umland herlockt. Doch gehen die Kis-ten mit Schill-Programmen an diesem Abend schnell weg. Auch wenn das noch Schriften von der Hamburger Wahl sind und mit Oldenburg oder Niedersachsen im Grunde herzlich wenig zu tun haben. Auch wenn das Hamburger Programm viele Oldenburger Fragen offen lässt. Für die Veranstalter ist das rhetorisch kein Problem.

„Wir wollen die Partei doch erst aufbauen. Wenn Sie jetzt bei uns mitmachen, können Sie ihre Meinung einbringen.“ Und sozusagen am eigenen Programm mitarbeiten. Da schreckt es auch nicht, dass keine Satzung zu kriegen ist. „Die hat Hamburg nicht mitgeschickt“, heißt es als Entschuldigung. Dafür war in den Kartons um so mehr Platz für Beitrittsformulare.

Mit einer Zeitungsanzeige („Wir sind da!“) und sechs Leuten hat Schill in Oldenburg angefangen: Ein Orthopäde mit fünf Kindern, ein Zahnarzt, ein Grafiker im Ruhestand, einer, der seit „39 Jahren Beamter ist und seit 38 Jahren verheiratet“, ein Zeitsoldat und Unternehmenberater, der sich auf Korruptionsprozesse spezialisiert hat. Die sechs kennen sich erst seit Dezember, seit der Niedersachsen-Koordinator der Partei Oldenburg als einen Schwerpunkt in Niedersachsen auserkoren hat.

Rhetorisch sind die Herren H.J. Clavien und Füllenbach auf ihrem Durchmarsch durch die bundesdeutsche Problemlandschaft äußerst geschliffen. Innere Sicherheit, Ausländer, Arbeitslosigkeit und Bildung sind die Pflöcke, die auch in Oldenburg gut einschlagen. Nach Pisa und dem grottenschlechten Leistungtest der deutschen SchülerInnen fordern die Schills „durchsetzungsfähige Disziplinierungsinstrumente“. Die „Entrechtung des Lehrpersonals“ sei nicht weiter hinzunehmen. Und Ausländer nicht länger im Land zu lassen. „Wir müssen sie doch nicht nehmen“, heißt es da noch freundlich.

Dass sie aber anders können, wird schon im nächsten Moment deutlich. 25 Schülerinnen und Schüler versuchen mit Rufen wie „Kill-Schill“ und „Fuck Law and Order“ den Saal zu stürmen. Weit kommt die Gruppe allerdings nicht: Anhänger und Veranstalter machen gemeinsam Front gegen die Störer: Sie schubsen und schlagen die Leute aus dem Saal. „Denen sollte man die Köppe zusammenschlagen“, mokiert sich einer der Gäste. „Ich würd's ja gerne tun, aber ich hab noch einen Ruf zu verlieren.“ Andere zögern nicht und schlagen wirklich zu. Die SchülerInnen sprechen anschließend von „Bürgerwehrmentalität“: „So stellen die sich einen wehrhaften Rechtsstaat vor.“

In der Tat: Bei solchen Schlagwörtern applaudieren die Oldenburger. „Abends haben wir ja schon Angst, raus zu gehen“, sagt ein 60-Plusser am Rande – auch wenn ihm bislang nie etwas passiert ist. Angst hat er aber schon, seinen Namen zu nennen. Wenn das dann in der Zeitung steht, „kommen die und malen Graffiti an unser Haus. Wir haben verblendete Klinker – das kriegen Sie nie wieder weg.“

Und während manche Jüngere die Sache nur „teilweise gut“ finden, ist eine ältere Frau ganz begeistert. Bei Schill, sagt sie, „lohnt es sich wieder zur Wahl zu gehen.“ Da würde sich endlich was ändern.

Für so manche dagegen scheint die Schill-Partei die letzte Anlaufstelle zu sein. Johann Lüttmers ist so einer. Seit Monaten hat der Architekt an einem Wirtschaftsprogramm geschrieben. „Red' nicht, hat meine Frau gesagt, sondern schreib' es auf“, erzählt der 67-Jährige. CDU, SPD und FDP, fast alle haben sie sein Programm inzwischen zugeschickt bekommen, aber nie geantwortet. Jetzt hofft er auf Schill. „Wir kommen sicher miteinander ins Geschäft.“

Aber auch die etablierten Oldenburger Parteien gucken teils besorgt, teils interessiert darauf, wer sich an diesem Abend bei Schill rumtrieb. Einzelne hatten extra ein paar „U-Boote“ ins Hotel Heide geschickt, um zu prüfen, ob auch Teile der eigenen Anhängerschaft inzwischen bei Schill sitzen. Schließlich hatte schon ein CDU-Stadtbezirksvorsitzender mit „Gefälligkeiten“ bei den Schill-Leuten für Schlagzeilen gesorgt. „Wir hoffen, dass fast keine CDU-Leute dabei sind“, so der CDU-Kreisvorsitzende Lutz Stratmann. Obwohl die Rechtsstaatliche Offensive sicher Stimmen abgraben wird. Da herrscht Einigkeit unter den Politikern. Dorothee Krumpipe

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