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Viele Dollars dürfen nicht der Zweck sein

Auf Tour mit den „Walkabouts“: Die County- und Folk-Sängerin Mary Gauthier in der Fabrik  ■ Jörg Feyer

Lowell George stand schon für viele(s) Pate, der 1979 verstorbene Songschreiber aus Los Angeles, der mitten im Bodenständigen kleine Surrealismen blühen ließ. Warum nicht auch für ein Restaurant? Als Mary Gauthier damals College-Radio hörte, wusste sie jedenfalls „sofort: Das ist es! Es war der 4. Juli in Boston, ich suchte nach einem Namen, und dann lief der Little Feat-Song. Da hab' ich aus dem ,Dixie Chicken' einfach mein ,Dixie Kitchen' gemacht.“ In eben diesem servierte sie sogar preisgekröntes Soul-Food aus ihrer Heimat Louisiana. Doch vor knapp vier Jahren verkaufte Gauthier das begehrte Restaurant. Seitdem lebt sie als Full Time-Musikerin aus dem Koffer und bei Freunden quer durch die USA und in Europa.

„Das Leben ist schon komisch geworden für mich“, sagt Gauthier jenseits aller Koketterie. „Wenn ich in meiner alten Wohnung in Boston bin, wo ich noch Sachen habe, frage ich mich, was ich da früher so gemacht habe. Ein Heim muss man halt pflegen, und dafür habe ich keine Zeit mehr.“ So sei Zuhause heute weniger ein Ort für sie als „in mir. Das Reisen ist mein Leben geworden, und ich will einfach immer weiter reisen. Aber ich bin froh, so leben zu können – andere Leute würden es wohl schwierig finden.“

Einmal Vagabundin, immer Vagabundin? Mit 15 ließ Mary Gauthier Highschool Highschool sein und brannte mit dem Auto ihrer Eltern durch. Frühe Bekanntschaften mit Knast und Entzug garantieren reichlich Inspiration für ihre lakonischen Country-Noir-Songs, wobei sie im ersten Teil ihrer Reise nicht nur die Drag Queens in Limousines aufmerksam studierte, die im vergangenen Jahr ihrem zweiten Album den Titel gaben.

Für die nötige Detailarbeit vertraut die Songschreiberin aus Baton Rouge fast exklusiv auf ihren Produzenten und gelegentlichen Co-Autoren Crit Harmon. Gauthier: „Das ist mein Mann. Wir haben beide unsere Rollen. Ich liefere den Stoff, die Idee, die Rohform – er schleift Melodie und Chorus, um die Aufmerksamkeit der Leute zu bekommen. Ich bin das Art Girl – er ist der Handwerker.“

Mit einem schonungslosen Song wie „I Drink“, der Altmeister John Prine Ehre machen würde, steht sie im keimfreien Country-Geschäft von Nashville natürlich auf verlorenem Posten. „Wie können von dort so viele schlechte Songs kommen, wenn doch da so viele großartige Schreiber leben?“, fragt sie sich bisher vergeblich. Immerhin ist auch Emmylou Harris schon ein Gauthier-Fan: Als die Country-Queen letztens ihre alljährliche Weihnachts-CD mit ihren Lieblingssongs an gute Freunde verschickte, war auch ihr „Mercy In The Sky“ drauf. Der Kollege Buddy Miller übermittelte ihr die frohe Kunde. Und der hat's ja mit „Hole In My Head“ inzwischen sogar ins Repertoire der Dixie Chicks geschafft, ohne seinen Soul an der Garderobe seelenlosen Nashville-Co-Writings abzugeben.

Millers Weg würde Mary Gauthier auch gern gehen. „Klar wäre es toll, wenn sowas passiert. Aber ich werde nicht versuchen, das zu forcieren. Es ist nicht immer schlecht und kann eine Herausforderung sein, für einen bestimmten Zweck zu schreiben, etwa für einen Film. Aber der Zweck darf nicht sein, viele Dollars zu machen. Es muss von allein passieren. Wenn ich's selber zu sehr versuche, lande ich am Ende auch noch bei diesen dumb-ass-songs. In den USA bist du entweder ein Star – oder du kämpfst ums Überleben.“

So hofft Mary Gauthier, die sich erstmals in Hamburg präsentiert, auch auf das deutsche Publikum, welches die Walkabouts längst als gute alte Bekannte betrachtet, die alle Jahre wieder auf eine Tasse Tee vorbeikommen. Dass Seattles zuverlässigster Export-Schlager nach dem Aus bei der Indus-trie angesichts der wieder kleineren Brötchen nicht die große Krise überkam, er sich vielmehr behutsam veränderte ohne allzu anbiedernd dem aktuellen Götzen Elektronica zu huldigen, ist vermutlich die größte Leistung der Band überhaupt. Ended Up A Stranger, das aktuelle Album, hat mal kein Konzept zu stemmen, sondern versammelt nur einen Haufen stilistisch disparater, doch stets unverkennbarer Songs.

Nennt man sowas lässig? Jedenfalls soll der Albumtitel nicht nur für die Verluste in Herzens-, Heimat- und Identitätsangelegenhei-ten stehen, die das Leben so mit sich bringt. „Nicht alles Verlorene ist tragisch“, verkündet das Gründungsmitglied Chris Eckman und re-gistriert fast erstaunt, dass den Walkabouts nach all' den Jahren „tatsächlich musikalische Standpunkte und Ideen fremd geworden“ seien, „mit denen wir angefangen haben.“ Huch! Sind die Walkabouts vielleicht doch nicht mehr die Walkabouts? Ach, irgendwie schon.

heute, 21 Uhr, Fabrik

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