strafplanet erde: umwege zum stil von DIETRICH ZUR NEDDEN:
Nach langem, aber nicht sehr geradlinigem, geschweige denn intensivem Nachdenken formulierte ich kürzlich eine immerhin mir neue Alltagsprüfungshypothese, die der Öffentlichkeit nicht länger vorenthalten sein soll: Was praktisch ist, hat selten Stil.
Und was brauchen wir in Zeiten der Tiefenschürfungsvortäuschung und des Meinungsgesummses mehr als Stil, Haltung und Würde? Inhalte, gewiss, sind auch wichtig, aber die ändern sich ja dauernd. Stilfragen dagegen, obwohl sie sich als Äußerlichkeiten tarnen, lassen tiefer blicken als es unser Hausverstand wahrhaben will.
Immer häufiger ertappe ich Menschen dabei, dass die Nummernschilder ihres Autos zwischen Ortskürzel und Endziffern ihre Initialen tragen. Stillos, wenn Sie mich fragen, wird derart doch eine direkte, wenn nicht gar persönliche Beziehung zwischen Auto und Besitzer hergestellt, die ihre Entsprechung findet in Formulierungen wie: „Und wo stehst du?“, womit danach gefragt wird, wo der Angesprochene sein Auto geparkt habe.
Ein paar Meter bevor sie das geparkte Auto erreichen, macht es klick! und alle Türen sind entriegelt. Auch hier merke: Das hat keinen Stil. Sogar im 21. Jahrhundert gebietet die Höflichkeit, seiner Begleitung die Beifahrertür persönlich aufzuschließen und zu öffnen. Ist ein Umweg, ist umständlich, aber genau das ist das Geheimnis. Ohne Umwege wäre doch unsere Kultur nicht das, was sie ist.
Menschen, die ihre Initialen aufs Nummernschild prägen lassen, haben auch prinzipiell nichts gegen einen Bändchen-Urlaub. Ist ebenfalls praktisch und so unkompliziert. Am Ferienort kriegen sie eine All-inclusive-Schlinge ums Handgelenk geschweißt, und dann heißt es: Hoch die Tassen! Nein, davon bitte die Finger lassen, bitte.
Auf die bereits reichlich gegeißelten Mobilfunkflegeleien an öffentlichen Orten brauchen wir selbstverständlich nicht mehr einzugehen, wenden uns stattdessen abschließend der Herrenmode im weitesten Sinne zu: Nach dem Zigarrerauchen fügt sich neuerdings ein weiteres lange vergessenes Accessoire in unseren Alltag. Der Hut. Ob mit schmaler oder breiter Krempe, ein Hut ist kleidsam und hält den Kopf übrigens wärmer, als es den Anschein hat. Aber, meine Herren, vergessen Sie nicht, den Hut bei der Begrüßung zu lüften! Das ist unabdingbar und sollte sozusagen eingebaut sein. Dass sich als nächstes das sorgfältig gebügelte weiße Taschentuch aus feinstem Zwirn wieder durchsetzen wird, sei hier nur am Rande erwähnt wie auch die längst überfällige Forderung, ein Mindestmaß an Grammatik- und Syntaxregeln einzuhalten.
Zur Fortbildung bis auf weiteres sei der Film „The Big Lebowski“ von den Coen-Brüdern empfohlen. Darin geht es um kaum etwas anderes als Stil, Haltung und Würde. Irgendwann sagt Walter Sobchak (gespielt vom anbetungswürdigen John Goodman) zu seinem Kumpel: „Mir gefällt dein Stil, Dude.“ Diesen Satz von einem glaubwürdigen und vernünftigen Menschen zu hören, sollte unser aller Ziel für die nähere Zukunft sein, überall dort, wo Inhalte für’n Arsch sind.
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