Manilas resolute Chaosverwalterin

Ein Volksaufstand brachte die philippinische Präsidentin Arroyo vor einem Jahr an die Macht, doch ihr fehlt Volksnähe

Heute will Gloria Macapagal Arroyo mindestens fünf Armensiedlungen in Manila besuchen. Dann wird die Tochter aus hohem Haus, deren Vater schon Präsident war, wieder ihr edles Kostüm gegen T-Shirt und Jeans tauschen, um den Armen auch optisch näher zu kommen. Am Sonntag dann, dem Jahrestag ihrer Vereidigung als Präsidentin des südostasiatischen Landes, hofft sie noch einmal hunderttausende Menschen an Manilas Stadtring zu versammeln, um der Massenproteste zu gedenken, die ihren korrupten Vorgänger Joseph Estrada stürzten.

Doch nach einem Jahr ist in Manila Ernüchterung eingekehrt. Zum Feiern ist nur wenigen zumute, auch wenn Arroyo keinen schlechten Job macht. Aber die Probleme des Landes sind riesig und schnelle Lösungen nicht in Sicht. Die philippinische Wirtschaft wuchs im vergangenen Jahr um 3,3 Prozent, was angesichts der Rezession selbst erfolgsverwöhnter asiatischer Länder ein gutes Ergebnis ist. Trotzdem ist das nicht einmal ein Prozent höher als das große Bevölkerungswachstum des überwiegend katholischen Landes. In der jüngsten Meinungsumfrage sagten 57 Prozent der Befragten, ihnen gehe es heute schlechter als vor einem Jahr, und nur 15 Prozent, dass es ihnen besser gehe.

„Wenn man ein Defizit abbaut, ist das nicht aufregend. Wenn man seinem Einnahmeziel nahe kommt in einem schlechten Jahr, ist das auch nicht aufregend. Kleine Wunder reichen den Leuten nicht, sie wollen große“, bilanziert der Wirtschaftslobbyist Guillermo Luz vom einflussreichen Makati Business Club. Seine Organisation unterstützt die zur Präsidentin gewordene frühere Kommilitonin von Bill Clinton an der Universität in Washington D. C. auch heute noch. Doch selbst Wirtschaftsführer bemängeln Arroyos geringes Charisma. „Jeder dachte, sie wäre ein Superfrau“, sagt etwa der Industrielle Raul Concepcion. Sie sei eine gute Managerin, das Land benötige aber einen Führer mit Charisma.

Das hatte der korpulente Macho Estrada, der das Gegenteil der zierlichen Arroyo war. Der frühere Filmschauspieler war wegen seiner Rollen als Rächer der kleinen Leute bei den Unterschichten beliebt. Sie verziehen ihm auch Frauenaffären und Saufgelage und fanden seine Korruption nicht ungewöhnlich. Es waren vor allem die Mittel- und Oberschichten, die zu hunderttausenden auf die Straße gingen, als ein Untersuchungsausschuss wichtiges Beweismaterial gegen Estrada nicht zuließ. Als dann das Militär ihm das Vertrauen entzog, musste er gehen.

Doch bis heute schaffte es Arroyo nicht, die 40 Prozent der Bevölkerung, die unter der Armutsgrenze leben, für sich zu gewinnen. Als am 1. Mai ein Mob von Estrada-Anhängern aus den Slums ihren Präsidentenpalast zu stürmen versuchte, wurde ihr die fehlende Volksnähe drastisch deutlich. Seitdem kleidet sie sich öfter in Jeans und besucht demonstrativ Armensiedlungen. Doch der Funke springt nicht über. „Sie hat eine mentale Blockade, wenn sie populistisch sein soll“, sagt der Politologe und Kolumnist Alex Magno. „Sie ist viel zu sehr Ökonomin.“

Seit einiger Zeit kursieren in Manila wieder Putschgerüchte. Die nur 1,50 Meter große Arroyo, die auch mit verschiedenen Rebellenbewegungen konfrontiert ist, lässt sich seitdem beim Schießtraining ablichten.

SVEN HANSEN