: Der morbide Reiz der Dekadenz
Makabre Totentänze, an Brecht & Blues geschult: Die Tiger Lillies als Crashkurs gegen den guten Geschmack
Der Schlaf der Sprachhüter gebiert dann gleich solche monströsen Wortungeheuer, an denen man mühselig entlang laufen muss: Was soll man nur erwarten, wenn sich die Tiger Lillies selbst als „Akkordeon-betriebenes kriminelles Kastraten- und anarchisch brechtisches Blues-Trio“ bezeichnen? Natürlich eine vergnügliche Vorhölle mit dem kulturellen Stoßtrupp in den Irrwitz, in der sich all die Figuren herumtreiben, denen man ansonsten gern auf die andere Straßenseite ausweicht. Aber Martyn Jacques, Hochsänger mit professionell geschultem Countertenor und Vorstand des schwarzhumorigen Moritatendreiers aus London, hat ein weiches Herz für die versammelten Mörder, Pyromanen, Aufschneider und sonstigen vom Schicksal Gebeutelten. Kennen gelernt haben will er sie in einem Striplokal unterhalb seiner Wohnung, in der Jacques gern die Abende verbrachte. Eine Freakshow des prallen Lebens. Mit den schrägen Gestalten, die nun in den Liedern der Tiger Lillies ein Wohnrecht haben und dort vom lustvollen Tabubruch und dem Reiz der Dekadenz schwärmen. Dazu rummelplatzt die Musik in einer Mischung aus Vaudeville, Schweizer Jodeln, Chansons und Zigeunerjazz. Beflissen dirigiert von einem Federico Fellino, während Johnny Rotten im Souffleurkasten sitzt. Böse, traurige, zärtliche, makabre, weltverlorene Totentanzlieder. So wie etwa „Banging in the Nails“, in dem ein durchgeknallter römischer Legionär die berühmtesten Nägel der Weltgeschichte einschlägt und dabei voller sadistischer Inbrunst vor sich hin jubiliert. Zu hören ist der leicht blasphemisch gefärbte Song der Tiger Lillies auf der aktuellen CD „The Brothel to the Cemetery“. Oder heute und morgen in der Kalkscheune, wenn das Trio seine Scheibe promotet.
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