: Die Klugheit der Schwachen
Das Carrousel-Theater zeigt Wilhelm Hauffs Märchen vom Kleinen Muck als milde gestimmte Outlaw-Oper, bei der die Kinder vor lauter buntem Kulissenzauber, üppigen Kostümierungen und wunderbarer Musik trotzdem bis zum Schluss mitfiebern
von ANJA MAIER
Was war das nochmal für eine Geschichte? Da war irgendwas mit Schuhen, die ganz schnell laufen können, oder? Mit Eselsohren, die dem König wachsen? Oder war das schon wieder ein anderes Märchen? Nein, genau das ist die Geschichte vom Kleinen Muck, der bucklig, verzagt und allein in die Welt zieht, dort die Grausamkeit seiner Mitmenschen erfährt und daran wächst. Wurde in Wilhelm Hauffs Märchen aus dem frühen 19. Jahrhundert noch „Bist ein braver, kleiner Zwerg, hast ein Köpflein wie ein Berg“ gespottet, wird die feindliche Umwelt auf der Bühne des seit über 50 Jahren bestehenden Carrousel-Theaters deutlicher und zeitgemäß grausamer: Als hässlicher Krüppel wird Muck beschimpft und gejagt.
In Hauffs Märchen stolpert der Outlaw von Ereignis zu Ereignis; in der Inszenierung von Michael Funke wird Muck (Roman Weltzien) die sprechende – und weitaus mutigere – Katze Sulai (Regine Gebhardt) zur Seite gestellt. Sie stiehlt für ihn die magischen Pantoffeln und das Zauberstöckchen, das Schätze finden und reich machen kann; sie fordert ihn auf: „Versuch mal zu weinen!“ Grund genug hätte Muck, denn die Welt ist schlecht; selbst der Schatten des Baumes, unter dem er sich ausruht, gehört dem König (Bernd Gebhardt). Auch von dessen Hofschranzen wird Muck übers Ohr gehauen, wird er – der dem König helfen will – beraubt und vom Hof verjagt.
Mucks Rache ist wirklich süß: Er findet den Feigenbaum, dessen Früchte Eselsohren wachsen lassen, und auch den Baum, der sie wieder verschwinden lässt. Als er den kompletten Hofstaat mit je einem Satz prächtiger Ohren versorgt hat, steht das Publikum Kopf: Das geschieht denen recht! Plötzlich ist der verachtete Muck der Retter. Geld, Gold und die Prinzessin zur Frau – her mit den Zauberfeigen, fordert der König. In Hauffs Märchen hat Muck wirklich eine Menge gelernt: Er überlässt den miesen König einem Schicksal mit Ohren und macht sich mit seinen Pantoffeln aus dem Staub. In der Carrousel-Theater-Inszenierung hingegen verbindet man Milde mit Moral: Der König wird seine Ohren los, und Muck schlägt sogar die Heirat mit der Prinzessin aus, um mit der Katze Sulai von dannen zu ziehen. Die Klugheit der Schwachen eben.
Für die Kinder im Publikum ist es nicht immer leicht, der Handlung zu folgen. Zwar geben sich die Sänger viel Mühe, deutlich zu artikulieren, das Libretto ist erfreulich klar. Aber bei einer Aufführung von knapp zwei Stunden schwindet schon mal die Aufmerksamkeit. Wenn dann noch Duett gesungen wird, ist es aus. Aber die Musik ist eingängig und klar, und als die kalte und wunderschöne Frau Prinzessin (Martina Ramin) ihre Arie singt, können Kinder auch einfach nur zuhören ohne zu verstehen. Überhaupt wird alles in einem so wundervollen Bühnenbild in Szene gesetzt, dass Langeweile gar nicht aufkommen kann. Bühne und Kostüme von Andrea Eisensee sind knallig in Barbie-Pink, Smaragdgrün und Sonnengelb gehalten, ständig öffnen sich versteckte Klappen und Nischen. Die Kostüme sind aufwändig, die Perücken hoch, die Hüte ausladend – das Auge hat gut zu tun. Und das Berliner Kammerorchester unter Brynmor Jones findet seine Einsätze, kommt den Sängerinnen und Sängern entgegen, übt an den richtigen Stellen Zurückhaltung. Am Ende der Uraufführung gab es rasenden Applaus: Kinder mit hochroten Backen trampelten begeistert, glückliche Darsteller und Musiker verbeugten sich wieder und wieder, im Foyer sah man auf Elterngesichtern ein mildes Dauerlächeln.
Das Carrousel-Theater bemüht sich derzeit um die Finanzierung einer weiteren Vorstellungsserie. Dafür spricht, dass im rot-roten Koalitionsvertrag die Stellung des Hauses gestärkt wurde. Von einer Kooperation mit dem Deutschen Theater ist keine Rede mehr; das größte Kinder- und Jugendtheater der Bundesrepublik bleibt Landesbühne. Und dass in der Sandsteinburg an der Parkaue nicht mit Geld um sich geworfen wird, sieht, wer sehen will: Auf der Bestuhlung habe ich vermutlich schon Anfang der 70er-Jahre „Das Rübchen“ gesehen.
25., 28. 1. bis 1. 2., 10 Uhr; am 27. 1. um 16 Uhr, Carrousel-Theater, Parkaue 29, Lichtenberg, Telefon: 55 77 52 52
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen