piwik no script img

Pralle Breker-Prachtfiguren – geschichtslos

■ Das Gerhard-Marcks-Haus zeigt deutsche Aktbildhauerei aus den Jahren zwischen 1918 und 1945 und verzichtet dabei auf Bildtafeln zum politischen Kontext. Es sollen reinästhetische Entwicklungen gezeigt werden

„Untergang einer Tradition“: Der Titel der gerade eröffneten Skulpturen-Ausstellung im Gerhard-Marcks-Haus klingt merkwürdig in den Ohren. Der gemeine Zufall erinnert an Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“, die deutsch-nationale Kulturbibel, oder gar an die von interessierter Seite stets wiederholte Behauptung, Nationales würde seit 1945 in Deutschland unterdrückt.

In der Tat: Es geht um deutsche Bildhauerei zwischen 1918 und 1945, und da steht Hitlers Liebling Arno Breker mittendrin. Insofern passt der dramatisierende Titel durchaus zum Pathos vieler der ausgestellten Figuren. Dass der Gigantomane Josef Thorak nicht mit ausgestellt ist, erklärt sich wahrscheinlich nur durch die weitgehenden Zerstörung seiner Werke im Krieg. Die verbliebenen Stücke sind in Privatbesitz „bei Leuten, mit denen man nichts zu tun haben möchte“, wie Ausstellungs-Kurator Arie Hartog gelinde umschreibt.

Was will man mit Breker zu tun haben? Jürgen Fitschen, Leiter des Marcks-Hauses: „Wir trauen uns, die Tradition in ihrer ganzen Breite zu zeigen.“ Gemeint ist die Tradition der Aktbildhauerei, die in Deutschland durch die Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus diskreditiert worden sei. Fitschen: „Sie konnte nicht so fortgeführt werden, wie das bis 1945 möglich war.“ Also: Breker und Mit(partei-)Genossen habens verbockt, muss man sie dafür jetzt wieder zeigen?

Fitschen verweist darauf, dass die „Lesefähigkeit“ des Publikums gefördert werden solle, um auch feine gestische Unterschiede zwischen den Werken wieder wahrnehmbar zu machen. Statt des politischen steht also ein rein künstlerischer Kontext im Vordergrund.

Formal ist die Ausstellung denkbar einfach gegliedert. Stehende Frauen, sitzende Männer, stehende Männer. Der größte ist Brekers „Wager“ von 1939. Mit seinem übernatürlich geblähten Brustkorb (gleich soll er wohl die Polen wegpusten) wirkt er wie eine unfreiwillige Karrikatur antiker Vorbilder. Hartog kommentiert: „Wir wollten Breker nicht rauslösen, nur weil er Kitsch ist.“

Selbstverständlich – Nazikunst und Kunst im „3. Reich“ sind nicht dasselbe. Neben der geförderten Kunst gab es die geduldete, die gefährdete und die heimliche. Und so stehen auch der unerwünschte Ernesto de Fiori im Marcks-Haus oder Hermann Blumenthal, der im „Dritten Reich“ eher kleine Brötchen backen musste.

Die Figuren lassen die Rutschbahn möglicher Konnotationen erahnen: Von sportlich über gesund zu deutsch. Aber: Nicht nur die Deutungen verschoben sich, auch die Kunstwerke selbst wurden mehr und mehr Illustration eines rassistischen Konzepts.

Deutlich zu sehen ist diese Entwicklung auch bei den Frauen: Demonstrativ aufgerichtete weibliche Körper präsentieren sich dem Betrachter auf den ersten Blick, ohne jede Intimität. Ältere Darstellungen weiblicher Akte waren vielfach liegend oder hockend, umhüllt oder in sich schützender Gebärde modelliert. Ihren Nachfolgerinnen im NS-Staat fehlt alles Bergende und Verbergende. Sie sind Sexualobjekte und Siegesgöttinnen zugleich, wie zum Beispiel Brekers „Siegerin“ von 1936.

Dem thematisierten Abbruch der Tradition stehen sowohl Brekers Arbeit nach Kriegsende – er hatte mit Helmut Kohl und dem Kölner Gerling-Konzern potente Förderer – als auch die große Kontinuität über die Schwelle von 1933 hinweg gegenüber: Bildhauer wie Klimsch, Kolbe und Scheibe zählten vor und nach 1933 zu den etablierten Künstlern, insbesondere Kolbe profitierte vom „Dritten Reich“ durch eine zweite Karriere und durfte zum Beispiel den Frankfurter Statuenring mit seinen zwei Meter dreißig hohen Titanen gießen. Die Aufwertung der Plastik im Dritten Reich brachte eine florierende Auftragslage. Arno Breker schließlich war – was die Förderung der künstlerischen Karriere durch den NS-Staat angeht – der Karajan der Bildhauerei.

Wohltuend ist die Präsenz von Gerhard Marcks im eigenen Haus. Er machte schon mit der Wahl seiner Modelle klar, dass er sich dem biologischen Ideal der Machthaber nicht anpassen wollte. Sein schmächtiger „Johannes“ von 1936, etwas abseits postiert, humanisiert mit seinem unatlethischen Körper, mit Hüften, die breiter ausfallen als die Schultern, die in der Ausstellung – und in der Zeit – sonst dominierenden der Metall-Heroen.

Zum Konzept der Ausstellung gehört das weitgehende Fehlen von Texttafeln. Hintergründe sind in den mit 22 Euro zugangsbewehrten Katalog verbannt – die Betrachter sollen nicht in erster Linie lesen, sondern gucken, meinen die Macher. Ein Bremer Experiment – in Leeds und Berlin, wo die Ausstellung zuvor zu sehen war, gab es reichhaltiges Begleitmaterial.

Die Bremer Variante ist in jeder Hinsicht nüchtern. Fitschen und Hartog haben auf effektvoll gesetzte Spots verzichtet, weißes Werkstattlicht und niedrige Podeste bestimmen die Atmosphäre.

Fazit: Unklarheit. Ein unglücklich gewählter Titel trifft auf ein Fragezeichen hinterlassendes Konzept, aufgeblähte Muskelästhetik steht neben ansprechenden Akten. „Uns geht es keineswegs um eine Rehabilitierung von Nazikunst“, beteuert Kurator Arie Hartog unzweideutig. Nur: Der Mehrwert, der durch die Reduktion des Kontextes entstehen soll, bleibt seltsam vage. Henning Bleyl

Die Ausstellung mit Werken von Georg Kolbe, Karl Albiker, Hermann Blumenthal, Arno Breker, Ernesto de Fiori, Ludwig Kasper, Fritz Klimsch, Wilhelm Lehmbruck, Gerhard Marcks und Richard Scheibe ist bis zum 21. April zu sehen. Ein Kolloquium zum Thema findet am 13. und 14. April im Marcks-Haus statt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen