: Schlagen, stöhnen, rennen
Monica Seles besiegt Venus Williams bei den Australian Open mit 6:7, 6:2 und 6:3 und steht erstmals seit drei Jahren wieder in einem Grand-Slam-Halbfinale. Dort trifft sie morgen auf Martina Hingis
aus Melbourne DORIS HENKEL
Immer wieder hat Monica Seles die Frage beantworten müssen, was ihr dieses Spiel nach all den Jahren zwischen Himmel und Hölle bedeute, woher sie den Antrieb nehme und wie viel Ehrgeiz sie noch habe. Sie kann es mit Worten erklären, aber noch besser mit Taten. Denn wie sehr sie dieses Duell im Rechteck immer noch liebt, das sah man gestern in Melbourne beim überraschenden Sieg gegen die Favoritin Venus Williams (6:7, 6:2, 6:3). Sie schlug und stöhnte und rannte mit der gleichen grimmigen Leidenschaft wie zu ihrer allerbesten Zeit – und sie war auch fast so gut. Der Lohn für ihren Einsatz war der erste Sieg gegen Williams im siebten Versuch, und nun wird sie zum erstenmal nach drei Jahren wieder im Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers spielen, morgen gegen Martina Hingis.
Für Venus Williams ging an diesem Abend unter dem geschlossenen Dach der Rod Laver Arena eine Phase der Dominanz zu Ende, die Ende Juni auf englischem Rasen begonnen hatte. Sie gewann den Titel in Wimbledon, ein paar Wochen später auch jenen bei den US Open, dazu die vier Spiele der ersten Runden in Melbourne – macht eine Serie von 18 Siegen. Und auch in Australien war es wieder eine Begegnung mit besonderer Begleitmusik: Bei einem Aufschlag zog sie sich Ende des ersten Satzes eine Zerrung im rechten Oberschenkel zu und ließ sich behandeln. Monica Seles stand währenddessen auf dem Platz, versuchte sich warm zu halten und machte sich Gedanken über die eigene Gesundheit. Morgens war sie mit einer fiebrigen Erkältung aufgewacht, sie bekam nicht besonders gut Luft, und sie dachte: was für ein merkwürdiges Spiel!
Aber es war nicht nur merkwürdig, es wurde auch trotz der Handicaps beiderseits immer besser, je länger es dauerte. Wie die Kugeln in einem Flipperspiel zischten die Bälle hin und her; Seles jagte Williams, Williams jagte Seles, und die Zuschauer hatten ihren Spaß. Nach knapp zwei Stunden war alles vorbei, und selbst Venus Williams meinte, die Richtige habe gewonnen: „Monica war die bessere Spielerin. Sie hat es verdient.“
Martina Hingis, die am Vormittag zwar nicht ohne sichtbare Anstrengung, aber letztlich souverän gegen Adriana Serra Zanetti aus Italien gewonnen hatte (6:2, 6:3), dürfte das Ergebnis zwar nicht gänzlich überrascht, aber doch mit Verwunderung zur Kenntnis genommen haben. Ganz gewiss hatte sie ein paar Gedanken an eine Begegnung mit Venus Williams im Halbfinale verschwendet.
Aber wer wagt, nach allem, was bei den Australian Open 2002 schon passiert ist, nun noch einen ernsthaften Tip für das nächste Spiel? Geht man nach der Bilanz der Spiele von Hingis und Seles, dann ist die Schweizerin im Vorteil; von insgesamt 16 Begegnungen seit 1996 hat sie zwei Drittel für sich entschieden. Der letzte der Siege liegt allerdings schon mehr als ein Jahr zurück, und die beiden einzigen Spiele 2001 hat Monica Seles gewonnen.
Für all das gibt es, neben der immer noch heißen Liebe zu diesem Spiel, eine logische Erklärung. Zum erstenmal nach vielen, vielen Jahren hat Seles eine längere Phase ohne Verletzungen hinter sich, zum erstenmal konnte sie im Winter so trainieren, wie sich sich das vorgestellt hat. Sie hat Gewicht verloren und Gewissheit gewonnen – und damit alte Stärke.
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