off-kino: Filme aus dem Archiv – Frisch gesichtet
Eine Gruppe von zehn- bis zwölfjährigen Jungen verfolgt die schöne Bernadette (Bernadette Lafont) auf Schritt und Tritt. Doch weil das Objekt ihrer jugendlichen Begierde für sie völlig unerreichbar bleibt, ärgern sie die Hübsche und ihren Freund ständig mit kleinen Boshaftigkeiten. Da geht es um Jugend, erwachende Sexualität, die ungekünstelte Darstellung von Liebe und die Liebe zum Kino: Bereits in „Les Mistons“ (Die Unverschämten), dem ersten erhaltenen Kurzfilm von François Truffaut, kann man viele der Themen finden, denen sich der französische Regisseur auch in seinen späteren Werken widmete.
Kino sei eine Kunst, bei der man hübsche Frauen hübsche Dinge tun lässt, hat der Mann, der die Frauen liebte, einmal geschrieben – und sich in seinem ersten Film auch daran gehalten: Die Verliebtheit der kleinen Protagonisten ist lediglich ein Vorwand für den ungenierten Blick der Kamera auf die schöne Bernadette mit ihren wippenden Brüsten, den flatternden Röcken und nackten Beinen. Ein wenig unmotiviert (aber typisch für ein Werk der frühen Nouvelle Vague) kommen die eingestreuten Filmzitate daher: Cocteau, Lumière, Vigo, der kleine Gruß an den Kollegen Rohmer.
Thematisch schließt Truffauts erster langer Spielfilm an „Les Mistons“ an: „Sie küssten und sie schlugen ihn“, der Beginn eines Zyklus mit Filmen um den von Jean-Pierre Léaud verkörperten Antoine Doinel, erzählt schonungslos und direkt (und auch ein wenig autobiografisch) von der unglücklichen Kindheit und den kriminellen Eskapaden eines ungeliebten Jungen. Als Truffaut die Geschicke seines Alter Ego im Kurzfilm „Antoine et Colette“ (1962) weiter verfolgte, hatte sich der Tonfall ein wenig geändert: Die Geschichte um Antoines Schritte in die Arbeitswelt und eine unglücklich verlaufende Liebe kommt erheblich leichter daher; der romantische Filou, den Léaud in späteren Jahren so perfekt verkörpern sollte, zeichnet sich hier bereits ab. Eine Reihe mit Filmen von François Truffaut, der am 6. 2. siebzig Jahre alt geworden wäre, zeigt das Filmkunsthaus Babylon noch bis Ende Februar.
„Les Mistons“ (OmeU), „Antoine et Colette“ (englF) 1. 2.; „Sie küssten und sie schlugen ihn“ 1. 2.–2. 2. im Filmkunsthaus Babylon
***
Ein Film, der die Karrieren seines Regisseurs und seines Hauptdarstellers beinahe beendete: Als Michael Powell 1960 in „Peeping Tom“ die Geschichte eines Psychopathen erzählte, der die Angst seiner Opfer filmt, während er sie mit dem Stilett im Kamerastativ ermordet, war die Empörung über das vermeintlich voyeuristische und geschmacklose Spektakel grenzenlos. Zumal der Film noch nicht einmal ein moralisches Urteil fällt und sogar Verständnis für den psychisch gestörten Täter aufbringt, der seinerseits von seinem Vater wie ein Versuchskaninchen mit ständiger Überwachung per Kamera gequält worden ist. Den Mörder verkörperte der bis dato allenfalls als Kaiser-Franz-Joseph-Dauerabonnent aufgefallene Karlheinz Böhm, dessen radikaler Imagewechsel allerdings keineswegs belohnt wurde: Nach diesem Flop mochte niemand den Mimen mehr engagieren. Erst in den späten Siebzigerjahren erfuhr „Peeping Tom“ Anerkennung als eine intelligente Reflexion über das Kino der Angst, das in den subjektiven Einstellungen aus der Sicht des Mörders die Mechanismen seines Genres offen legt.
„Peeping Tom“ (OmU) 2. 2., 4. 2. im Arsenal 1
***
Er war der beste Schurkendarsteller des klassischen Hollywood: Basil Rathbone verstand es wie kaum ein anderer, kalt und hochmütig zu wirken. Zudem besaß der als Sohn britischer Eltern in Südafrika geborene Mime Stil und Noblesse – für die Rolle des niederträchtigen Adeligen war er geradezu prädestiniert. Überdies war Rathbone ein Meisterfechter, dem im Kreuzen der Klingen von den Kollegen in der Traumfabrik niemand gleichkam. In „Der Hofnarr“ von Melvin Frank und Norman Panama trifft der Erzschurke auf den Komiker Danny Kaye, der als feiger Provinzschauspieler die Revolte gegen einen mittelalterlichen Tyrannen zu einem glücklichen Erfolg führt. Kayes Waffe ist das Wort: Seine zungenbrecherischen Wortspiele treiben garantiert jeden Gegner in den Wahnsinn.
„Der Hofnarr“ 2. 2.–3. 2. im Arsenal 1
LARS PENNING
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen