Letzte Nachrichten aus der äußersten Mongolei

Ein Jahresrückblick mit Sensationen, Skandalen, Schlägereien, Statistiken, Schnaps und Sex. In der kältesten Hauptstadt der Welt tobt das wilde Leben

Die Konkurrenten gingen mit Pistolen und Messern aufeinander los

Das mongolische Jahr der Schlange 2001 neigt sich dem Ende zu: Am 13. Februar beginnt das neue – gute – Jahr des Pferdes. Die Zeitung Humuus (Volk) veröffentlichte als Jahresrückblick eine VIP-Liste:

Für die meisten Sensationen unter den Männern sorgte der Tourismusunternehmer Ch. Enhtaivan, der zugleich Präsident der monglischen Designer-Assoziation ist. Er landete im Gefängnis – nach einer Schlägerei mit anderen Businessleuten im Lokal „Check Point“ in Ulaan-Baatar. Man munkelt, dass die Kommunisten dahinter stecken – also die Mongolische Nationalrevolutionäre Partei, die wieder mit 72 Stimmen (von 76) die Mehrheit im Parlament hat.

Zur Sensationsfrau wurde das Asian-Top-Model Bolormaa gekürt: Sie heiratete einen jüngeren Mann und verklagte ihre Agentur in Singapur. Zur sexuellsten Frau des Jahres kürte man die Sängerin Sarantuya, nachdem diese sich von ihrem Business-Ehemann getrennt, einen Erotik-Clip gedreht und dazu ihr eher züchtiges Image gewechselt hatte. Als „sympathischste Frau“ galt den „Volks“-Machern die Sängerin Serchmaa, dabei stützten sie sich auf eine Umfrage unter Männern.

Im vergangenen Jahr wurde der staatliche Wodka-Monopolbetrieb APU privatisiert. Die Schnapsbude ging für 4,5 Milliarden Tugrik (1.100 Tugrik = 1 Dollar!) an die Strohfirma „Tuul International“, hinter der Mafiosi aus Sibirien und Hongkong stecken sollen, sowie der Direktor der auf Goldbergbau und Coca-Cola spezialisierten „Dschingis-Khan-Bank“ in Ulaan-Baatar – ein Russe, den Jelzin einst zur Weiterbildung in eine Londoner Bank schickte. Immer noch nicht entscheidungsreif ist die Privatisierung der staatlichen Fluglinie Miat sowie 20 weiterer Betriebe. Erstmalig soll es nun auch Privateigentum an Grund und Boden geben. Nach zwei verheerend kalten Wintern war der Sommer 2001 sehr schön: Die Direktflüge von Berlin in „die kälteste Hauptstadt der Welt“ waren im heißen Juli mit Touristen ausgebucht.

Die Mongolistin und dpa-Korrespondentin, Dr. Renate Bormann, startete einen Pressedienst – mit wöchentlichen Nachrichten aus der Mongolei: Es wurden 48.400 Kinder geboren (2.700 weniger als im Jahr 2000), gleichzeitig wurden 49.100 Waisenkinder gezählt und 23.700 Straftaten verübt. Zusammen mit der deutschen Entwicklungshilfe wurde ein „Sexualaufklärungsprogramm für die Grenztruppen“ gestartet. Außerdem kam die Brunzrepublik für neue Zentralheizungskörper im Dorfkrankenhaus von Somon auf.

Am 29. September starb der mongolische Parlamentsvorsitzende L. Enebish – im Bett. Am Abend zuvor war er auf einem Empfang der chinesischen Botschaft gewesen. Seine Frau lebt von ihm getrennt in Amerika. Anfang Oktober fand in Ulaan-Baatar ein internationales Theaterfestival statt, der mongolische Beitrag bestand in einer „Hamlet“-Inszenierung. Im Dezember kam es zu einer Schlägerei im japanischen Restaurant „Hanamasa“ von Ulaan-Baatar – zwischen mehreren südkoreanischen Geschäftsleuten. Es ging mal wieder um die leidige Marktwirtschaft – d. h. um Marktanteile, wobei die Konkurrenten mit Pistolen und Messern aufeinander losgingen. Anschließend landete die eine Hälfte – Barbesitzer – im Krankenhaus und die andere – Import-Export – im Gefängnis. Einer der Letzteren sagte der Humuus in einem Interview: „Wenn die mongolischen Gerichte sich wirklich um die Wahrheit bemühen, werde ich dem Staat meine ganzen Investitionen übereignen“.

Eine Tierzählung am Jahresende ergab, dass der mongolische Gesamtviehbestand (Pferde, Rinder, Kamele, Schafe und Ziegen) jetzt 26,1 Millionen beträgt. 265.700 Tiere wurden im Winter davor gezählt. Die BRD ließ den davon betroffenen Provinzen 2 Mio. Mark zukommen, außerdem 11 LKWs mit Hilfsgütern. Der für ihre Logistik vor Ort zuständige GTZ-Manager Bormann meinte anschließend, besonders bewundernswert war „die Leistung der mongolischen Kraftfahrer, die bei fast 50 Grad Kälte in ihren Autos übernachteten, um die Ladung zu sichern“.

Umgekehrt äußerte sich der Sänger der mongolischen Boygroup „Nomin Talst“ (Steinsplitter) in einem Interview mit dem Berlin-Korrespondenten der Popzeitung Super begeistert über die deutschen Musikproduzenten, ihre RTL 2-Sendung „Pop-Star“ und wie sie damit neue Musikgruppen kreieren. Die „Nomin Talst“-Jungs befanden sich gerade auf einer Tournee durch die mongolischen „Communities“ von Prag, Budapest, Berlin und Stuttgart.

Das Berliner Sony-Center erwarb in der Mongolei drei Jurten, die anschließend auf dem Potsdamer Platz von 30 deutschen Literaten bespielt wurden, einer las sogar eine Geschichte aus der Mongolei darin vor. Der japanische Konzern will damit das nomadische Denken forcieren, wie der Kulturattaché der mongolischen Botschaft in Berlin informierte. DONDOG BATJARGAL /

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