Ans Eingemachte

In der Kampnagel-Reihe „Zeig mir dein Fleisch!“: Kurzfilme von Mariola Brillowska  ■ Von Stefanie Maeck

Das Subjekt, das Mariola Brillowska in ihren Filmen hinaus in die Welt schickt, ist äußerst funktional. In erster Linie hat es Öffnungen und Wölbungen an den richtigen Stellen; denn auch in ihren negativen Utopien ist die Triebabfuhr noch sehr wichtig. Einen rotgelackten Fingernagel gibt es auch, ob zur Verführung oder zum Durchbohren der Männer, bleibt unklar. Nach Dezentrierung und Differenz folgt mit Mariola Brillowska also die gnadenlose Transparenz des Geschlechtlichen – und ein beamender Blick des Begehrens. Welcome im Hotel Supernova – so der Titel des Abends – und auf dem Planetoiden Nietzsche im 71. Jahrhundert.

Billige Zigaretten der Marke Sport und Wodka runden in Brillowskas Kurz-und Trickfilmen ein Panorama ab, das jenseits von mimetischen Gedanken einen gnadenlos entstellenden und sezierenden Blick auf die Wirklichkeit richtet. Nach Mimesis und Psychoanalyse kann für den modernen, aufgeklärten Hermeneuten aber nur noch das Aufbrechen der Körper erfolgen, um endlich ans Eingemachte zu gelangen. Das macht die Brillowska denn auch mit Vorliebe und fördert Haufenweise Schlacke, Schliere, Kotze, Billigpizza nebst Sexualsekreten und Zivilisationsgewürm zu Tage.

Doch auch ein weiterer Zug scheint der polnischen Künstlerin neben dem Sitten- und Gesellschaftsgemälde klar vor Augen und wichtig zu sein, nämlich die Tendenz des leidigen Kulturbetriebs, sich die jeweiligen Avantgarden und Subkulturen gnadenlos anzueignen, und ihnen damit einen lieblichen, rosa Maulkorb anzulegen. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt – was nur noch trashig, pinkig, technomäßig und „sportlich-idoltauglich“ ist, ist nicht mehr gefährlich. Aber nicht mit Mariola!

Überhaupt der Kulturbetrieb: Was bei der Jelinek die verhassten Wiener Kulturphilister waren, die ihr Geld mit unverständlichem und im Zweifelsfall biederem Gerede über die Kunst verdienten, sind bei Mariola Brillowska die Kritiker. In ihrem Kurzfilm Flash Fairy, einer Auskopplung aus dem genialen Katharina&Witt – Fiction&Reality, lässt sie den modernen und postmodernen Theoriediskurs in einer monoton-beliebigen Endlosschleife ertönen, um ihn allmählich ins Pornographische abgleiten zu lassen.

Bevor die Kunst jedoch ganz tot ist, taucht wie Benjamins Engel der Geschichte Katharina Witt mit wehenden Haaren aus den Trümmern des Materials auf, um durch verschiedene Installationen auf Schlittschuhen hindurchzugleiten, und sie mit gesalbter Stimme zu kommentieren. Auch bei Mariola Brillowska ist eine Stimme auszumachen, die aus der Verwebung von Kulturmüll und Tageszeitungsresten hinaus unmissverständlich ins Literarische drängt – ein Aspekt, der die Trickfilme poetisch abrundet.

Freud hatte von der Sublimierung der Triebenergie in Kunst, Kritik und Kultur geredet. Susan Sontag meint sogar, dass die Kritik die Rache der Intellektuellen an der Kunst sei. Beuys sagt: Jeder ist ein Künstler, und Mariola Brillowska zitiert das unmissverständlich missbilligend. Was man bei ihr jedoch sieht, könnte man als eine Ästhetik des Schocks und des Übels beschreiben, die den Ekel und Widerwillen an dem hervorkehrt, was normalerweise schön unter der „Nettdecke“ bleiben sollte.

Und nicht zuletzt profitiert so eine Kunst auch stark von dem Phänomen, das sie kritisiert und das ihr Material an die Hand gibt, und zwar in ihrem Unterhaltungswert. Nach der destruktiven Geste könnte deswegen auch ein konstruktiver Zug folgen, sonst endet man wie Nietzsche mit seiner Ar-tistenmetaphysik in vollendeter „Morgenröte“ oder ergeht sich in pausenloser, zynischer Wiederholung. Diesen Zug bei Brillowska zu finden, ist wohl eine Frage von Zwischentönen oder eine Aufgabe für spätere Zeiten.

Jetzt schon kann man sagen, dass Brillowskas Filme, die sich zwischen Gewalt, Pornographie und Parodie bewegen, unbedingt sehenswert und auch hörenswert sind (dank der sagenhaft guten und futuristischen Musik von Felix Kubin) und rein formal von großem visuellen Stilwillen zeugen. Zu Recht sollte man deswegen neugierig auf die zehn Kurzfilme der polnischen Filmdiva geworden sein, die morgen im Alabama-Kino auf Kampnagel zu sehen sind. Und an Lola, der Hauptfigur der Künstlerin, ist das Herz nur eins von vielen tollen Dingen.

morgen, 20.45 Uhr, Alabama