Die ewigen Zitterfüßler

Extabellenführer Bayer Leverkusen spielt in München seinen gewohnten „Angsthasenfußball“ (Elber) und verliert mit 0:2 gegen Bayern München, die nun das Liga-Eichhörnchen spielen wollen

aus München THOMAS BECKER

Was für ein Fest! Nicht das Spiel, das wirklich nicht. Nein, es waren die paar Sätze, die die Bayern nach dem Spiel vor den Reportern loswerden durften. „Wir sprechen nicht von der Titelverteidigung“, sagte Uli Hoeneß, der Manager, „wir haben jetzt mal 90 Minuten ordentlich Fußball gespielt. Nun werden wir versuchen, wie ein Eichhörnchen Punkt für Punkt in der Tabelle aufzuholen.“ Wie er mit dem Spiel seines Teams zufrieden war? „Wenn die so kämpfen, kommt irgendwann die spielerische Linie.“ Fazit: „Das Selbstvertrauen kommt zurück.“

Brave Sätze, das Pflichtprogramm halt. Doch dann kommt sie endlich, die lang erwartete Frage: Was war eigentlich mit Leverkusen los? Da geht ein Aufatmen durch den ganzen Uli, gefolgt von einem erleichtert-dankbaren Luftholen vor der Kür: „Die haben die Hosen voll gehabt, und wenn sie so weiterspielen, haben sie wenig Chancen auf die deutsche Meisterschaft. Nach zehn Minuten war klar: Das wird wieder same procedure as every year.“

Welch Wohltat nach den letzten schlimmen Wochen. 2:0 gegen Bayer Leverkusen, der erste Bundesligaerfolg nach sieben sieglosen Partien, der schwärzesten Bayern-Serie seit der Saison 68/69. Mit acht Punkten Vorsprung waren die Leverkusener nach München gekommen, mit fünf fuhren sie heim, und dieses Polster erscheint so dünn und flüchtig, wie der für den schließlich abgesagten Snowboard-Weltcup angekarrte Schnee am Olympiaberg, von dem nur ein paar kümmerlich-schmuddlige Restweiß-Kleckse übrig geblieben sind, dahingerafft vom Münchner Vorfrühling.

Ähnlich wehrlos ergab sich der Tabellenführer seinem Angstgegner. Zum achten Mal in Serie verlor Bayer bei Bayern, und Manager Reiner Calmund meinte: „Vor meiner Rente werden wir hier in München irgendwann gewinnen.“ Ist das optimistisch oder pessimistisch? Calmund ist 53. Soll man ihm den Vorruhestand wünschen?

Es ist ein merkwürdiges Phänomen, dieses Bayern-Trauma von Bayer. Wie das Kaninchen vor der Schlange erstarrten Ballack & Co in Halbzeit zwei vor einem FC Bayern München, der angesichts der ungewohnten Tabellenperspektive zunächst auch nur aus Zitterfüßlern bestand: merkwürdig unkonzentriert-uninspiriertes Hin- und Hergeschiebe vor nur 43.000 Zuschauern, ein engagierter, aber wirkungsschwacher Effenberg, ein Stürmer Elber mit bedenklicher Ladehemmung und ein genervter Torwart Kahn, der einen außerplanmäßig ins Spielfeld gerollten Ball nicht zur Seitenlinie schiebt, sondern hoch hinauf in die Gegengerade bolzt. Spitzenspiele sehen anders aus.

Zu Beginn der zweiten Hälfte schien dem Titelverteidiger jemand gesagt zu haben, dass man auf die acht Punkte Distanz nicht zwingend Rücksicht nehmen müsse, woraufhin sich doch noch ein Fußballspiel entwickelte, wenn auch kein technisch brillantes. Effenberg wird mehr und mehr der Alte, also der Boss, leitete mit feinem Freistoßtrick das spektakuläre 1:0 durch Elber ein (67.), verwandelte vier Minuten später einen Elfmeter und ging vorzeitig duschen, natürlich ohne sich beim Publikum für den Applaus zu bedanken.

Bayer-Trainer Toppmöller meinte anschließend: „Nach dem 1:0 war klar, dass wir keine Chance mehr haben.“ Genau so spielte sein Team auch. Giovane Elber sprach es dann endlich aus, das schlimme Wort: „Dass die so einen Angsthasenfußball spielen, das ist schon schwer verständlich, wenn man mit acht Punkten Vorsprung anreist. Aber das ist Leverkusen.“ Vize-Präsident Rummenigge setzte noch einen drauf: „Leverkusen war vielleicht gerade der Gegner, den wir gebraucht haben.“ Klar, so ein bisschen was zum Warmspielen, bevor es am Mittwoch gegen St. Pauli geht und dann der nächste Tabellenführer kommt: Borussia Dortmund. Mit sechs Punkten Vorsprung.