: Polnische Brötchen sind unerwünscht
aus Guben und Eisenhüttenstadt UWE RADA
Es war wie aus dem Lehrbuch der deutsch-polnischen Freundschaft. Krzysztof Kononowicz suchte für seine Bäckerei einen deutschen Partner und fand ihn im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree. Der Partner versprach, monatlich eine bestimmte Menge polnischer Backwaren abzunehmen. Voller Optimismus investierte Kononowicz im polnischen Kreisstädtchen Sulęncin in eine neue Fertigungsstrecke. „Eine gute Zusammenarbeit, von der beide profitiert hätten“, sagt Kononowicz, der zugleich Präsident des Arbeitgeberverbandes im Kreis Sulęncin ist.
„Die Hölle heiß gemacht“
Der Konjunktiv, den Kononowicz benutzt, ist im deutsch-polnischen Lehrbuch allerdings nicht zu finden. Ebenso wenig wie die antipolnischen Ressentiments auf der deutschen Seite. „Vor einiger Zeit hat unser Partner einen Rückzieher gemacht“, formuliert es Kononowicz mit der ihm eigenen Höflichkeit. Der Projektentwickler und CDU-Politiker Heinz Lassowsky aus dem brandenburgischen Beeskow ist da deutlicher. „Die Leute haben dem deutschen Partner die Hölle heiß gemacht, der konnte gar nicht mehr anders als aussteigen.“ Für ein solches Projekt, ist Lassowsky überzeugt, finde Kononowicz auch in absehbarer Zeit keinen Partner mehr. Im deutsch-polnischen Grenzgebiet ist die Stimmung offenbar schlechter, als es offiziell zugegeben wird.
„Mit diffusem Missmut“, sagt Manfred Stolpe (SPD), „finden wir uns nicht ab.“ Ostbrandenburg und Westpolen, gibt sich der brandenburgische Ministerpräsident immer wieder optimistisch, „sind auf dem Weg zu einem gemeinsamen europäischen Wirtschaftsstandort“. Man wolle die Grenzregion als Ganzes entwickeln, die Potenziale diesseits und jenseits der Oder nutzen und zu einem Netzwerk in der Mitte des künftigen Europa ausbauen. Das klingt nicht schlecht, vor allem wenn dann auch noch von „Zwillingsunternehmen“ und „Win-Win-Situationen“ die Rede ist. Sind die Grenzregionen also doch gewappnet für die möglicherweise schon 2004 stattfindende Osterweiterung der Europäischen Union? Ist die gescheiterte Kooperation von Krzysztof Kononowicz nur eine Ausnahme, die die Regel bestätigt?
Am Grenzübergang in Guben ist dieser Tage wenig los. Nur wenige Autos und Fußgänger passieren die Stadtbrücke, die das brandenburgische Guben mit dem polnischen Gubin verbindet. Oder, je nachdem, wie man es sieht, trennt. Auf polnischer Seite, wo die deutschen Kunden auf dem Basar ausbleiben, setzt man wieder auf die eigenen Stärken. Und in Guben wurde erst vor kurzem der weit über die Grenzen Brandenburgs hinaus bekannte Bürgermeister Gottfried Hain abgewählt. „Weil er ein Polenfreund war“, sagt man in Guben hinter vorgehaltener Hand.
Vor nicht allzu langer Zeit galten Guben und Gubin noch als „europäische Modellstadt“. Als eine der ersten Zwillingsstädte im deutsch-polnischen Grenzgebiet wurden beide Städte zur „Europastadt“, kooperierten bei der Stadtplanung, bewarben sich mit mehreren Projekten als Standort der Expo in Hannover. Geradezu wegweisend galt die Idee Hains, die längst überfällige neue Kläranlage auf polnischer Seite zu bauen. „Davon profitieren“, glaubte auch Hain noch vor einigen Jahren, „langfristig beide Seiten.“
Heute weiß es der ehemalige Krankenpfleger, dessen Eltern 1957 von Schlesien in die DDR kamen, besser. „Die Menschen auf beiden Seiten glauben nicht mehr an eine grenzüberschreitende Erfolgsstory“, sagt Hain. „Mit der deutsch-polnischen Partnerschaft kann man zwar einige Intellektuelle begeistern, aber nicht die Menschen hier in der Stadt.“ Entsprechend skeptisch ist Hain auch, was die Zukunft der Grenzregionen angeht. „Der Optimismus der Landesregierung, dass diese Regionen zu den Gewinnern gehören, wird von der Bevölkerung nicht geteilt.“ Der stellvertretende Chefredakteur der Lausitzer Rundschau, Johann Legner, geht noch weiter. „Die Grenzregion“, sagt er, „ist zu einer traumatischen Erfahrung geworden. Beide Seiten schotten sich wieder voneinander ab.“ Aus der einstigen deutsch-polnischen Modellstadt ist ein deutsch-polnischer Krisenfall geworden.
Zu denen, die schon lange vor einem voreiligen Optimismus gewarnt haben, gehört der Sozialwissenschaftler Ulf Matthiesen vom Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) im brandenburgischen Erkner. „Anfängliche Hoffnungen auf eine wirtschaftliche Stabilisierung durch mittelständisch geprägte Unternehmensstrukturen“, schreibt Matthiesen in einer neuen Studie zu den „krisenhaften Auswirkungen der Osterweiterung auf die deutsch-polnische Grenzregion“, „scheinen sich vorerst nicht zu bewahrheiten.“
„Sterbende Städte“
Die Gründe dafür lägen auf der Hand: Die Abwanderung der Bevölkerung und der mobilen Schichten und die Entstehung „sterbender Städte“, „unterschiedliche Innovationsbereitschaften“ sowie das Fehlen „grenznaher Industrie- und Dienstleistungszentren“, wie es sie in Ansätzen zumindest an der deutsch-tschechischen Grenze gebe. In der Studie des IRS wird auch mit den angeblichen Chancen von Twin-Factories und deutsch-polnischen Partnerschaften zwischen klein- und mittelständischen Unternehmen aufgeräumt: „Potenziell interessante Kooperationspartner befinden sich überwiegend in den stärker landeinwärts gelegenen Zentren.“
Was sich hinter den abstrakten Warnungen der IRS-Studie verbirgt, kann CDU-Mann und Wirtschaftsberater Lassowsky aus eigener Anschauung berichten. „Vier von fünf Unternehmern rate ich ab, nach Polen zu gehen“, sagt er. „Die Risiken sind größer als die Chancen, vor allem wenn die Kapitaldecke, wie bei den meisten, nicht stimmt.“ Lassowsky bestätigt auch die IRS-Warnung vor einer weiteren „Peripherisierung“ der Grenzregion: „Wir haben auf beiden Seiten zwei wirtschaftliche Zentren, Berlin und Poznań, dazwischen ist Niemandsland.“
Eisenhüttenstadt heißt Eko. Und Eko heißt Stahl, Flachstahl vor allem, hochwertige Bleche für die Automobilproduktion. 25 Prozent der Eko-Stahlproduktion in Eisenhüttenstadt gehen an die Autoindustrie, davon wiederum das meiste an Volkswagen. Weil Volkswagen aber schon lange nicht mehr Wolfsburg heißt, sondern auch Poznań, plant man bei Eko schon länger ein größeres Engagement in Polen. In diesem Jahr nun soll es so weit sein, sagt Eko-Arbeitsdirektor und Vorstandsmitglied Rainer Barcikowski. „Im Frühjahr legen wir in Poznań den Grundstein für ein neues Veredelungswerk.“ Hundert Arbeitsplätze sollen in Polens Boomtown entstehen, zu Löhnen, die mit fünfzig Prozent des bundesdeutschen Stahltarifs in Polen so hoch sind wie sonst nur in Warschau.
Doch die Grenzregion profitiert nicht von der Eko-Investition, weder auf polnischer noch auf deutscher Seite. Während man in der Eko-Vorstandsetage in die Zukunft schaut, blickt man im Rathaus von Eisenhüttenstadt noch immer auf die Oder. Und die hat in der nur noch 42.000 Einwohner zählenden Stahlstadt noch immer keine Brücke. Der stellvertretende Bürgermeister Werner Hartmann glaubt aber, dass es gar keine andere Chance gibt als die, sich dem Nachbarland zuzuwenden. „Für die Menschen, die verantwortungsvoll für die Zukunft und die nächsten Generationen handeln wollen, ist die Osterweiterung eine Chance und eine Selbstverständlichkeit.“ Polen und Osteuropa, ist er sich sicher, „sind für die Region zukunftssichernd.“ Hartmann geht sogar noch einen Schritt weiter: „Wenn wir diese Chance nutzen wollen, darf es eigentlich auch keine Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach einem polnischen EU-Beitritt geben.“
Freizügigkeit, ja oder nein? Eigentlich ist die Frage schon längst entschieden. Nicht zuletzt auf Druck von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), aber auch von Ministerpräsidenten wie Manfred Stolpe, hat die EU-Kommission bereits entschieden, die Arbeitnehmer und Dienstleistungsfreizügigkeit nach dem polnischen Beitritt zur EU auf fünf bis sieben Jahre auszusetzen. Auch die polnische Regierung hat dieser Einschränkung, wenn auch unter Protest, zugestimmt. In den Grenzregionen selbst, deren Arbeitsplätze die Bundesregierung mit der Übergangsfrist vor allem sichern will, wird zunehmend aber auch die Forderung nach einer sofortigen Öffnung der Grenze laut. Nicht nur in Eisenhüttenstadt, sondern auch in Görlitz oder Frankfurt (Oder) will man lieber heute als morgen auch die Chancen nutzen, die sich aus der Arbeitsmöglichkeit für Polen auch in Deutschland ergeben.
„Nicht unter solchen Bedingungen“
Das sieht auch Heinz Lassowsky so. „Ich habe versucht, einen Absolventen der Europauniversität Viadrina bei meiner Firma einzustellen“, schimpft er bei einem Treffen mit der Landrätin des Beeskower Partnerstädtchens Sulęncin, Bożena Sławiak. „Aber er hat keine Arbeitserlaubnis bekommen. Das ist doch absurd. Deutschland finanziert seine Ausbildung, wir suchen hoch qualifizierte Leute, und dann dürfen die bei uns nicht arbeiten.“ Für Lassowsky ist damit auch eine Grenze überschritten. „Beitritt ja“, sagt er in Richtung des brandenburgischen Ministerpräsidenten Stolpe, „aber nicht unter solchen Bedingungen.“ Auch die polnischen Vertreter aus Sulęncin sprechen an diesem Abend im europäischen Begegnungszentrum Ratzdorf eher im Konjunktiv. „Noch gibt es in der Woiwodschaft Lubuskie eine Zustimmung zum EU-Beitritt von über 70 Prozent“, sagt Landrätin Sławiak. „Doch wenn sich in der Region nichts tut, dann können wir nicht garantieren, dass das Referendum zum Beitritt in Polen nicht auch scheitert.“
Der, der solchen Worten am meisten beistimmt, ist Krzysztof Kononowicz. Die Erfahrung, die der Backwarenhersteller mit seinem deutschen Kooperationspartner gemacht hat, waren nicht die ersten dieser Art. Bereits 1991 hatte Kononowicz versucht, in einem Bäckerladen in Frankfurt (Oder) polnische Brötchen zu verkaufen. Nachdem die Frankfurter Bürger daraufhin den „Brötchenkrieg“ ausgerufen hatten und rechte Jugendliche immer wieder grölend vor den Laden gezogen waren, hatte er aufgeben müssen.
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