: Leichen nach Polen!
Grenzenlose Solidarität deutscher Bestattungsunternehmer rührt Nachbarn zu Tränen
Polens Bestattungsunternehmen stehen vor einem existenziellen Problem: Nachdem kürzlich bekannt wurde, dass Sanitäter und Notfallärzte Leichen verkauft haben sollen, hat die Zahl der Toten drastisch abgenommen; die Auftragsbücher bleiben leer; hoch qualifizierte Fachleute können ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen. „Die Engpässe werden von Tag zu Tag schlimmer“, berichtet ein fassungsloser Unternehmer aus Lodz. „Damit wächst auch die psychische Belastung enorm. Viele Kollegen werden depressiv.“ In Warschau und Krakau soll es schon einzelne Selbstmordversuche gegeben haben, um die am Leichenskandal krankende Branche zu retten. Angesichts der angespannten Situation haben sich deutsche Bestatter spontan zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, das den polnischen Kollegen kurzfristig und unbürokratisch unter die Arme greifen soll.
Recycling heißt auch hier das Zauberwort. Das in der Branche hinter vorgehaltener Hand „Polonaise“ genannte Verfahren ist so einfach wie genial und hat dem Sprecher und Spiritus Rector des Netzwerks, Horst Piontek, unter Kollegen viel Anerkennung eingebracht. Leichen aus Deutschland werden statt einer Beerdigung im heimischen Boden einfach nach Polen transportiert und dort an die Not leidenden Unternehmen verteilt. „Durch eine erste spontane Lieferung eines Kollegen aus Frankfurt an der Oder konnten wir die schlimmsten Versorgungsengpässe der polnischen Kollegen schon ein bisschen lindern“, freut sich Piontek.
Demnächst soll in jedem Bundesland mindestens einmal in der Woche ein Tiefkühltransporter seine Runde machen, der an den Verladerampen der Bestattungsunternehmen hält und dort frisch Verstorbene aufnimmt. Mit dieser Fracht rollen die Lastwagen dann über die Grenze zu eigens eingerichteten Verteilzentren, wo die Leichen an die polnischen Bestatter ausgegeben werden. „Sie können sich nicht vorstellen, wie überwältigend die Begeisterung bei der ersten Lieferung war“, berichtet Piontek. „Die Kollegen haben sich gefreut wie die Kinder. Einige hatten Tränen in den Augen.“
Auch viele Angehörige von Verstorbenen in Deutschland sind von der Initiative begeistert und wollen helfen, indem sie die sterblichen Überreste ihrer Verwandten zur Verfügung stellen. „Ist es doch egal, ob in dem Kasten nun mein Heinz liegt oder zwei Zentner Kartoffeln“, sinniert eine Witwe aus Meppen, die den Leichnam ihres Mannes für Polen gespendet hat. „Tot ist tot. Und wenn ich so helfen kann, bin ich gerne dabei.“
Horst Piontek freut sich über den Zuspruch, den der Spendenaufruf des Netzwerks in der Bevölkerung gefunden hat: „Großmütter und Großväter, Tanten und Onkel, zum Teil sogar Hunde werden von den Menschen auf ihre letzte Reise nach Polen geschickt. Diese Solidarität ist einzigartig.“ Wer den polnischen Bestattern mit weiteren Spenden helfen will, findet nähere Informationen zum Verfahren unter der Serviceadresse www.leichen-nach-polen.de.
TANJA KÜDDELSMANN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen