: Des Unbotmäßigen Lähmung
Der Kölner Pfarrer Pick ist gefeuert. Zehn Jahre lang hat er für Kirchenasyl und gegen Konservatismus in der evangelischen Kirche gekämpft. Vorwurf der Kirchenleitung: Pick vernachlässige die Seelsorge. Anlass des Vorwurfs: Frauengeschichten
aus Köln PASCAL BEUCKER
Eine Zumutung für die Kirchenoberen war Kurt-Werner Pick eigentlich von Anfang an. In seiner Antoniterkirche im Zentrum Kölns begann 1992 das längste Kirchenasyl der Bundesrepublik. Nach fünf Jahren hatte Pick es geschafft: Die beiden Roma-Familien durften bleiben.
Auch das nordrhein-westfälische Wanderkirchenasyl kurdischer Flüchtlinge nahm hier seinen Anfang. Vier Jahre ist das nun her. „Alle, die kommen, werden Zuflucht erhalten“, so lautete das Motto Picks. Doch nicht nur mit seiner Flüchtlingsarbeit sorgte der Pfarrer für Aufregung. Während sein katholischer Kollege Joachim Kardinal Meisner wenige hundert Meter entfernt im Kölner Dom bis heute Soldatengottesdienste abhält und Homosexualität anprangert, lud Pick unter anderem Gregor Gysi ein, im Juni 2000 von der Kanzel zum Thema „Politik und Moral“ zu sprechen.
Solche Eskapaden wird es künftig nicht mehr geben. Nach über zehn Jahren Dienst ist Kurt-Werner Pick seit Januar nicht mehr Pfarrer der Antoniterkirche. Die Evangelische Kirche im Rheinland hat ihn abberufen. Zum Verhängnis geworden ist dem Alt-68er im Talar sein „unsteter“ Lebenswandel. Einzelne Presbyterinnen und Presbyter, Mitglieder des von der Gemeinde gewählten Kirchenvorstands, hätten sich „veranlasst gesehen, auf massive Schwierigkeiten in der Amts- und Lebensführung des Pfarrers Kurt-Werner Pick hinzuweisen“, heißt es in dem siebzehn Seiten langen Abberufungsschreiben der Landeskirchenleitung. Der Vorwurf: Der 54-Jährige habe „zu mehreren Frauen in seinem engeren dienstlichen Umfeld intime Beziehungen unterhalten“. Die damit einhergehende Verquickung von Dienstlichem und Privatem habe „jeweils sehr negative Folgen in den Arbeitsabläufen gezeitigt, als die Beziehungen zerbrochen seien“.
Auf eine solche Gelegenheit hatte die Kirchenleitung in Düsseldorf schon lange gewartet. Sie setzte zwei Landeskirchenräte zur Untersuchung der Vorfälle ein: Jörn-Erik Gutheil, mit Pick seit dem Kirchenasyl im Clinch, und Dietrich Kauffmann, seit dem Gysi-Auftritt mit dem Pfarrer über Kreuz. Die beiden ermittelten ein Jahr lang. Was sie herausfanden: Pick hatte in den vergangenen zehn Jahren tatsächlich intime Beziehungen zu Frauen in seiner Gemeinde. Sechs Namen seien gefallen, allerdings hätten nur drei eine frühere Beziehung zu dem Pfarrer bestätigt. Eine habe sie bestritten und zwei Frauen „fanden sich nicht bereit, mit dem Landeskirchenamt zu sprechen“. Eine der Betroffenen bekundete, es habe Freundschaften gegeben, die „auf für beide Seiten schmerzhafte Weise“ zu Ende gingen.
Für eine Abberufung reichte das nicht. Die zwei Rechercheure mussten konstatieren, dass zwar „wechselnde Liebesbeziehungen zu Frauen im engeren dienstlichen Umfeld zu Anfragen an die Glaubwürdigkeit von Pfarrer Pick von Seiten einzelner Presbyteriumsmitglieder geführt haben, von der Mehrheit des Presbyteriums aber an sich nicht für entscheidungsrelevant gehalten werden, wenn es um den Verbleib des Pfarrer Pick geht“. Darüber hinaus habe die Gemeinde von alldem nicht viel gewusst.
Aber da sie nun mal gerade dabei waren, weiteten die Sonderermittler den Untersuchungsbereich aus: Könnten die Beziehungsprobleme des Pfarrers nicht „Indizien für eine tiefer liegende Problematik sein“? Nun ging es ans Eingemachte. Gutheil und Kauffmann befragten diejenigen, denen Pick schon immer ein Dorn im Auge war. So ließen sie sich von dessen dienstälterem Kopfarrer „zur Dokumentation der Schwierigkeiten in der Arbeit mit Herrn Pick eine umfangreiche Materialsammlung“ überreichen, wie das Zeugenprotokoll vermerkt. Ein weiterer Pfarrer sagte aus, Pick interessiere „nur seine ,Propaganda‘ in dem Sinn, wie ihn die Gegenreformation entwickelt hat“.
Andere handverlesene Zeugen beschreiben den Theologen als „selbstverliebt“ und „rücksichtslos“. Er habe sich „praktisch ausschließlich auf die öffentlichkeitswirksame Arbeit konzentriert und den Aspekt ,Seelsorge‘“ vernachlässigt. Wie verblendet Pick sei, so urteilten Gutheil und Kauffmann, zeige sich auch daran, dass er sich seinerzeit für die Einladung Gysis nicht entschuldigt habe. Die Quintessenz der beiden Landeskirchenermittler: „Das kirchliche Interesse an einer qualifizierten Arbeit“ lasse ein weiteres Verbleiben Picks an der Antoniterkirche nicht zu.
„Die wollten mich von Anfang an einfach nur loswerden“, wirft Pick der rheinischen Kirchenleitung verbittert vor. „Das Ergebnis stand bereits vor der ersten Vernehmung fest.“ Nach langer Überlegung verzichtete er auf einen möglichen Widerspruch, hat seine Abberufung hingenommen. Ihm fehle einfach die Kraft, um weiterzukämpfen. Trotzdem hat er sich über die vielen Solidaritätsbekundungen sehr gefreut, wie die der Grünen im Stadtrat. Formal ist Pick jetzt „Pfarrer im Wartestand“ und kann sich auf jede freie Pfarrstelle bewerben. Allerdings: Wer will schon so einen Unruhestifter?
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