piwik no script img

Cage aufgehängt

■ Das Festival „Klänge des Inneren Auges“ startet mit einer Ausstellung der bildenden Künstler Mark Tobey, Morris Graves und John Cage

Seattle, 1937: Der 25-jährige John Cage inszeniert seinen ersten Großangriff auf die Konventionen ernster, „bürgerlicher“ Musik. Auf den Saiten seines Steinway liegen Blechdosen voll Kies, der auf die Saiten rieselt. Cage bearbeitet die Saiten mit der Hand und attackiert die Tasten mit Fäusten und Füßen. Das Publikum ist geschockt, bis auf einen: Morris Graves sitzt da, futtert Erdnüsse, zermalmt die Schalen mit den Füßen und stiert auf die Zuschauer durch eine Spielzeugbrille mit großen, runden Puppenaugen. Plötzlich fängt er an zu stöhnen, dann schreit er in den Raum: „Jesus in the Everywhere.“

So haben sie sich kennengelernt, der Musiker John Cage und der fast gleichaltrige bildende Künstler Morris Graves. Im gleichen Jahr in der gleichen Stadt kam Mark Tobey dazu und beeindruckte John Cage bei einem Spaziergang mit seiner Sichtweise der Pflastersteine. Cage, Graves, Tobey – die drei waren Teil der Künstlergemeinschaft von Seattle, als Trio traten sie allerdings nie auf. Die Wege trennten sich: John Cage kümmerte sich um Skandale in Deutschland und Italien, Mark Tobey ließ sich in Basel nieder und Morris Graves strickte an seiner Legende als einsiedlerischer Mystiker im amerikanischen Westen.

Kunsthallen-Direktor Wulf Herzogenrath und Kustos Andreas Kreul haben die drei nun in einer Retrospektive wieder zusammengeführt und darüberhinaus entdeckt: Es gibt beträchtliche konzeptionelle Schnittmengen. „Die gezeigten Berührungspunkte sind so absolut nicht bekannt“, meint Kreul, und um sie dem Betrachter vor Augen zu führen, hat er die Werke der Künstler schlichtweg nebeneinander gehängt.

Tatsächlich ist mitunter ein Tobey nicht von einem Graves zu unterscheiden: Beide arbeiten ungegenständlich, sind beeinflusst von asiatischer Philosophie und Symbolsprache und inspiriert vom diffusen Licht des amerikanischen Nord-Westens. Außerdem haben sich beide mit Kalligraphie beschäftigt – Graves hat Tobeys „White Writing“ übernommen – und beide haben sie geometrische Formen untersucht.

Hier kommt dann John Cage mit ins Boot: Seine „Blätter mit graphischen Notationen“ oder die Partitur zu seinem neodadaistischen Klassiker „4'33"“ verkauft die Ausstellung als eigenständige Kunstwerke und vergleicht sie etwa mit Tobeys stark abstrahierter Version einer Pappelrose. Der Vergleich hinkt an solchen Stellen – trotzdem überrascht das Notenbild der John Cage-Musik durch seine Klarheit.

Verbunden mit den unterschiedlichen Wirkungsorten der Künstler sind unterschiedliche Bekanntheitsgrade: Für das deutsche Publikum sei Tobey eine „Wiederentdeckung“, Graves eine „Neuentdeckung“ und Cage würde man hierzulande nur als Musiker, nicht aber als Künstler kennen, so Kunsthallen-Chef Wulf Herzogenrath. Entsprechend der Wirkungsorte der drei Künstler wird die Ausstellung im Lauf des Jahres auch im Glass Museum in Tacoma (USA) sowie in der Baseler Fondation Beyeler zu sehen sein. Herzogenrath: „Es ist eine Ausstelung, die den internationalen Charakter unseres Hauses darstellt.“

Und mindestens nationale Ausstrahlung erhofft man sich von dem Begleitprogramm, das Bremer Kultur-Institutionen mit Unterstützung der Bremer Marketing Gesellschaft organisiert hat: Bis Mitte April werden sich Symposien, Konzerte, Matinées, Feste, Tanztheater und Klaviernächte die Hand reichen. Die „Klänge des inneren Auges“ werden vor allem ein John Cage-Festival sein, das die Bremer Kultur-Institutionen zusammenrücken lässt – einer, der einst spaltete, wird zur großen Integrations-figur. Klaus Irler

Zur Eröffnung am Sonntag, dem 10.2. um 11.30 Uhr sprechen Georg Abegg, Wulf Herzogenrath und Andreas Kreul. Tenor Gunnar Brandt und Flötistin Harrie Starreveld präsentieren Musik von John Cage und Mark Tobey. Die Ausstellung ist bis zum 14. April zu sehen, dienstags 10-21 Uhr, mittwochs bis sonntags 10-17 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen