: Home of the lost Kutterkapitäne
■ Der Ausgeher (7) landet nach einer Odyssee durch Vegesack im „Fährhaus“ und gibt sich dem Weltschmerz hin
Mir ist zum Tanzen zumute, obwohl Werder verloren hat. Weil ich mit einer Dame verabredet bin. Und zwar mit einer Dame, die ich nur flüchtig kenne, die mich aber bei aller Flüchtigkeit unserer Begegnung rasch gelehrt hat, sie zu schätzen. Sie wohnt in Farge. Ich in der City. Wir wollen uns auf halber Strecke treffen, nämlich in Vegesack. Sie muß eine halbe Stunde mit dem Bus und ich eine halbe Stunde mit dem Zug fahren. Das ist fair. Eine Uhrzeit hatten wir nicht ausgemacht, wir würden uns schon im Laufe des Abends über den Weg laufen, hatte sie gesagt. Doch die Kneipe, in der wir uns verabredet haben, das „Muddy“ am Vegesacker Bahnhof, hat geschlossen. Wegen Renovierung. Das ist unfair. Doch an der Tür klebt ein Zettel, eine Nachricht von ihr. Das ist wiederum fair. Auf dem Zettel steht: „Ich bin im ARSCH“. Ich wundere mich. Sollte es ihr nicht gutgehen? Oder gibt es hier am Ort tatsächlich eine Kneipe, die „ARSCH“ heißt? Dann fällt mir auf, dass das Wort „ARSCH“ mit einem anderen Stift geschrieben wurde als die restliche Mitteilung. Und zwar mit einem dicken, schwarzen Edding. Offenbar hat sich ein jugendlicher Scherzbold einen Ulk erlaubt. Das ist unfair, denn was sich unter dem Edding befindet, kann man beim besten Willen nicht mehr lesen. Ich beschließe, die nächstgelegenen Kneipen abzuklappern. Das Wörtchen „im“ ist mir dabei eine große Hilfe. „Ich bin im der «Pinte‚“ hätte sie gewiß nicht geschrieben, weshalb ich dieses Etablissement rechts liegen lasse. Es kommen nur männliche oder sächliche Kneipen in Frage. Nächste Station: das „Loretta am Hafen“. Eigentlich weiblich. Aber doch irgendwie sächlich. Komische Sprache, dieses Teutonisch. Aber egal, „Loretta“ ist zu, wird auch gerade renoviert. Daneben das „Flagherty s“. Ich möchte sie dort nicht vermuten, weil ich hoffe, dass sie, gleich mir, Irish Pubs doof findet, und gehe stattdessen ins „Fährhaus“. Der Laden ist übersichtlich, hell ausgeleuchtet und verrät mir auf den ersten Blick, dass sie nicht da ist. Ich seufze und bestelle mir erstmal ein Bierchen. Ich denke, das ist nur fair. Der Barkeeper ist ein freundlicher bärtiger Bär, wahrscheinlich ein ehemaliger Walfänger. Er hat einem Wal, den er beizeiten erlegt hat, eigenhändig den Kiefer abmontiert und letzteren vor seine Schänke gestellt. Total maritim, das „Fährhaus“, sollte man meinen. Ist es aber nicht. Außer einem kleinem Schiffssteuer aus Holz, das man auch bei Quelle bestellen kann, deutet fast nichts darauf hin, daß sich hier einmal Kutterbesatzungen die Klinke in die Hand gaben. Der bärtige, bärenartige Ex-Walfänger erzählt mir stolz, dass hier vor kurzem renoviert wurde. Offenbar eine lokale Seuche. Quasi eine Lokalseuche. Will nicht wissen, wie das „Muddy“ und das „Loretta“ hinterher aussehen. Das „Fährhaus“ sieht jetzt jedenfalls so aus wie „Tom s Trinkhalle“ oder „Paul's Pilsstübchen“, nämlich: Spanplatte mit weißem Plastiküberzug, Einbau-Halogenstrahler ausm Baumarkt und Hängeleuchten, die aussehen, als wär der Designer beim Zeichnen mitm Stift abgerutscht. Ach! seufze ich, ach! der Weltschmerz! macht mir zu schaffen! Er macht, dass mir nicht mehr zum Tanzen zumute ist und ich in dogmatischer Weise ungnädige Urteile über Inneneinrichtungen fälle, die andere Menschen möglicherweise ganz hübsch finden. Was soll ich nur tun? Oh schönes fremdes Mädchen, dessen Name ich vergaß, wo befindet sich dein gebenedeiter Leib in dieser schwarzen Stunde? Ich geh erstmal pissen. Da tritt SIE heraus aus dem Damenklo und entblößt ihre weißen Hauerchen als Zeichen der Wiedersehensfreude. Ich tue es ihr gleich. Dann trinken wir gemeinsam einige Biere. Ich sage: „Werder hat zwar verloren, aber würdest Du trotzdem mit mir tanzen ?“
Das „Fährhaus“ befindet sich am Vegesacker Hafen 14. Geöffnet: Mo bis Do 17 - 24 Uhr, Fr 17 Uhr - open end, Sa ab 13 Uhr, So 14 - 24 Uhr. Ein Helles vom Faß 0,3 kostet 2,20 EUR. Das Personal ist sehr nett.
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