: Die Schwäche des Henkers
Kontrovers, politisch, Low Budget: In „Monster’s Ball“ (Wettbewerb) deckt Marc Forster die Nähe zwischen Sklaverei, Todesstrafe und Heldentum made in USA auf
Huiih, was für ein Film! Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Bei der wie ferngelenkten Leichtigkeit, mit der Billy Bob Thornton die Entwicklung eines weißen Mannes vom Rassisten und Henker zum zärtlichen Liebhaber einer Schwarzen vollführt? Oder bei den Bildern, gefilmt in einer echten Todeskammer in Angola, Louisiana? Bei den nicht enden wollenden Zuckungen des Delinquenten, der erstaunlich glaubhaft gespielt wird von Rapper Sean Combs (Puff Daddy, zur Zeit P. Diddy)? Bei den „Kleinigkeiten“ wie dem verweigerten letzten Anruf oder bei der stimmigen Ästhetik der Diner und Südstaatenstraßen?
Der Regisseur Marc Forster, ein Schweizer, in Deutschland geboren, der seit Anfang der Neunziger in New York Film studiert hat und dort lebt, hat ein Buch verfilmt, das seit langem zwischen den Studios hin und her geschoben wurde. Schließlich hat er „Monster’s Ball“ mit einem Kleinetat realisiert, die Schauspieler Halle Berry und Billy BobThornton verzichteten auf Teile ihrer Stargagen.
Kein Wunder, dass kein großes Studio sich an dieses Projekt gewagt hat. Der Stoff nämlich hat durchaus politische Sprengkraft. Auch wenn wir schon andere Filme über die Unmenschlichkeit der Todestrafe gesehen haben. Dieser hier begnügt sich nicht mit einem moralischen Aufschrei. Hier wird die tief verwurzelte Tradition von Sklaverei und ihre Überführung ins Heute problematisiert. Die Mehrzahl der US-Todeskanditaten ist schwarz. Forster reicht eine relativ kurze Szene, um den Wendepunkt im Leben des Chefhenkers Hank Grotowski (Thornton) zu schildern. Er fährt zu seiner Arbeit in der „Korrekturanstalt“ an einem der Feldarbeitseinsätze der Gefangenen direkt vor seinem Gefängnis vorbei. Im Kopf sehen wir Baumwollplantagen um 1800. Nach dieser Fahrt wird Grotowski den Dienst quittieren. Sein Vater, chronisch krank, Ex-Death-Row-Bediensteter, wird ihn danach zum Schwächling erklären. „Du bist wie deine Mutter.“ Die hatte Selbstmord begangen. Und auch der Sohn von Hank, ebenfalls an der Hinrichtung beteiligt und als Einziger halbwegs menschlich agierend, hat sich zu diesem Zeitpunkt schon die Kugel ins Herz gejagt. Hank bleibt nur, das Blut wegzuwischen, das Projektil aus dem schweren Ledersessel zu friemeln und es als Relikt der Schwäche (oder Stärke?) in ein Marmeladenglas einzuschließen.
Hank geht auf eine innere Reise, auf der er die Frau kennen lernt, deren Mann er zuletzt hingerichtet hat. Die ausgiebige Sexszene musste in den USA geschnitten werden. Es ist einem fast zu billig: Sex außerhalb der Bettdecke ist anrüchig und obszön, eine Hinrichtung normal.
Viel krasser als die zensierte Passage ist der Schnellfick mit einer Prostituierten, die sich völlig lakonisch auszieht, über einen Tisch beugt, von hinten bumsen lässt und sagt: „Mach nicht zu heftig, ich bin wund.“ Für den Wettbewerb ein zu kontroverser, ein zu großartiger Film, hätte man früher gedacht, und ihn still und leise ins Panorama geschoben.
ANDREAS BECKER
Monster’s Ball, Regie: Marc Forster. USA 2001, 111 Min.
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